hamburger szene: Fahrt nach Hamburg
Die Landschaft fliegt vorüber, es gibt Bodennebel auf Pferdekoppeln, Reihenhäuser in nicht endenden Reihen, Schnee in Ackerfurchen, bleiche Birkenwälder, säumige Windräder, zigarettendünne Fabrikschlote in der Ferne. Und ganz nah, viel zu nah die Techno-Beats in Fisteltönen aus dem Kopfhörer des Mitreisenden. Und nirgends eine Gemeinsamkeit: Ich schaue aus dem Fenster, er blättert im Bahnmobil-Blatt, ich lese in einem Suhrkamp-Bändchen, er starrt auf seine Schuhspitzen. „Schöner heißer Filterkaffee“, leiert die Stimme einer Bahnbediensteten, „macht fit, schön heiß, Filterkaffee.“ Schön. Nur: Wozu eigentlich fit sein? Der Zug rattert jetzt über die Elbbrücken, unten treiben Eisschollen, vollgesogen mit dem Hamburg-Grau der letzten Tage, wie tote, stinkende Buckelwale mit dem Bauch nach oben.
Auf dem Bahnhof herrscht das übliche Gedränge. Einer rempelt einen anderen und rempelt gleich noch mal, verbal: „Pass’ mal auf.“ Auf dem Vorplatz dann die jungen Herumhänger. Gut gescheitelt und frisch gewaschen sitzen ihre Frisuren, als ginge es zum Bewerbungsgespräch. Dabei tragen sie schwarze Lederjacken und Röhrenjeans mit Nietengürtel. Und um die Augen dick aufgetragen Trauer.
Über ein paar Pfützen hinweg lenke ich meine Schritte zum nächsten Laden. Als ich dort das Kühlregal öffne, lichtet sich endlich das Grau: Eine Flasche purzelt heraus und zersplittert am Boden, meine weißen Turnschuhe saugen sich voll mit Holunderrot. Ich steh’ auf Farbe. MAP
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