Armut bekommt Nachwuchs

Sozialhilfeempfängerinnen im Revier erhalten keine kostenlosen Verhütungsmittel mehr. Nur Bochum und Gelsenkirchen wollen Frauen weiter vor ungewollten Schwangerschaften schützen

VON NATALIE WIESMANN

Viele Ruhrgebietsstädte sparen neuerdings an Verhütungsmitteln für ihre Sozialhilfeempfängerinnen. Grundlage ist das Gesundheitsmodernisierungsgesetz, das für die betroffenen Frauen nur noch Leistungen vorsieht, die die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen. Trotz einiger Unklarheiten bei dem Gesetz haben die Städte Düsseldorf, Dortmund, Duisburg und Oberhausen bereits Anfang des Jahres ihre Unterstützung eingestellt. Nun ist auch Essen mit dabei, hier bekommen volljährige mittellose Frauen seit Mitte Mai keine Pille oder Spirale mehr vom Sozialamt bezahlt. Die Stadt beruft sich auf ein Gutachten des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, nach dem die neuen Bestimmungen in diese Richtung interpretiert werden. Andere Revierstädte wie Bochum und Gelsenkirchen unterstützen ihre Sozialhilfeempfängerinnen trotzdem weiter.

„Die Sozialhilfegesetzgebung sieht eindeutig Hilfe zur Familienplanung vor“, sagt Hans-Peter Leymann-Kurtz, Ex-Grüner Bürgermeister aus Essen. Nun kämen die neuen Regelungen dazu und es wäre nicht klar formuliert, welche Vorrang hätte. „Das Gutachten ist keine Gesetzesgrundlage. Der Bund muss eindeutige Regelungen finden.“ Er wirft der Stadt Essen kurzfristiges Denken vor: „Die Sozialämter sparen an der falschen Stelle. Abtreibungen sind als Verhütungsmittel viel teurer.“ Der Politiker empfiehlt betroffenen Frauen, gegen den Bescheid Widerspruch einzulegen.

Die sparenden Städte sehen die Gesetzeslage als eindeutig an. „Wir haben keinen Ermessensspielraum“, rechtfertigt sich Peter Batow, Leiter des Sozialamts in Dortmund. Genauso sehen es seine AmtskollegInnen in Düsseldorf und Duisburg. Oberhausen zieht sich auf seine schlechte Haushaltslage zurück: „Wir sind eine Konsolidierungsstadt“, sagt Sprecher Martin Berge, „freiwillige Ausgaben können wir uns nicht leisten“.

Die Städte Bochum und Gelsenkirchen übernehmen die Kosten für ihre Sozialhilfeempfängerinnen solange es noch geht. Sie nehmen auch das neue Gutachten nicht als Handlungsgrundlage. „Das Gesetz ist nicht eindeutig“, sagt Christian Weiße vom Sozialamt Bochum. So lange wolle man die Frauen unterstützen. Bei der Beratungsstelle Pro Familia, die den Großteil der Rezeptausschreibungen übernimmt, ist die Stimmung düster: „Wenn wir Kosten nicht mehr übernehmen können, werden viele Frauen nicht mehr verhüten“, ist sich Leiter Jörg Syllwasschy sicher. Eine Dreimonatspackung kostet dreißig Euro, Nachahmerprodukte ein bisschen weniger. „Das kommt zu Praxisgebühren und Medikamenten noch dazu“, so der Experte.

Auch in Gelsenkirchen hat man trotz knapper Kassen eine verwaltungsinterne Lösung gefunden, um die Frauen so lange wie möglich zu unterstützen. „Wir wollen jede denkbare mögliche Folge vermeiden, die für die Betroffenen und für die Stadt zu großen Belastungen führen kann“, sagt Pressesprecher Georg Oberkötter.

Im nächsten Jahr hat sich das Thema höchstwahrscheinlich erledigt. SozialhilfempfängerInnen beziehen dann nicht mehr über das Sozialamt Unterstützung für Medikamente, sondern direkt über die Krankenkassen. Und die haben die Pille für erwachsene Frauen noch nie finanziert.