„Alle Aufklärung ist destruktiv“

Im Theaterhaus steht zur Zeit „Cosimo und Ricarda“ auf dem Programm. Mathieu Carriere spielt den Damenwäscheträger. Die taz sprach mit dem Schauspieler über den Mythos Wagner und über Köln

INTERVIEW Holger Möhlmann

„Cosimo und Ricarda“, Bernd Wesslings Groteske für zwei Personen, dekonstruiert den Mythos Richard Wagner. Sie zeigt den Musiktitanen historisch korrekt als Damenwäscheträger, seine Frau Cosima als weiblichen Macho und Managerin des Labels Wagner.

taz: Herr Carriere, „Cosimo und Ricarda“ stammt aus dem Jahr 1981, wurde aber bis jetzt noch nie inszeniert. Warum nicht?

Mathieu Carriere: Nach Bernd Wesslings eigenem Kommentar sollten Vadim Glowna und Vera Tschechova Anfang der Achtzigerjahre die Rollen spielen. Verschiedene Theater hatten ihr Jawort gegeben, der Autor sah sich schon in Hollywood. Die Zusagen haben sich dann alle in verschämte Absagen verwandelt. Der Autor hat mit Entschädigungen wegen Vertragsbruch mehr Geld verdient als mit seinen Tantiemen. Er meinte, er sei nicht paranoid, könne sich aber unter diesen Umständen vorstellen, es zu werden. Was war da los? War da eine Art Wagner-Schutz-Staffel am Werk oder die berüchtigte deutsche freiwillige Selbstkontrolle?

Das Stück war seit langem in Vergessenheit geraten. Wie kam es zur Wiederentdeckung und zur Entscheidung, es über zwanzig Jahre nach seiner Entstehung aufzuführen?

Sophie Sowa, unsere Dramaturgin und Regisseurin, hat im Fernsehen Helen Vita in einer alten Talkshow von der Cosima-Rolle für sich schwärmen hören und dann im Internet einen Hinweis auf das Stück gefunden. Dann entschloss sich Brigitte Weckert, ins kalte Wasser zu springen und das Projekt zu finanzieren. Sie hat die Rechte gekauft und den Brocken gestemmt.

Den Aufführungsort Köln haben Sie vorgeschlagen. Wir, die wir in dieser Stadt leben, haben zunehmend den Eindruck, mit dem Mythos vom toleranten, kritischen und weltoffenen Köln ist es nicht mehr weit her. Man hört mehr von „Hass-Predigern“ und strengen Kardinälen. Sieht das von außen womöglich anders aus?

Wie in jeder „weltoffenen“ Stadt kollidieren auch in Köln Dünkel und Chuzpe, Dogma und Kabarett, Kacke und Klüngel. Aber gerade diese Kollision ist der Maßstab für „Weltoffenheit“.

In Köln lebt die Feministin und Autorin Alice Schwarzer, mit der Sie befreundet sind. Wie stehen Sie zu ihrer Wunschvorstellung, die Aufteilung der Menschheit in Männer und Frauen zu überwinden?

Wie Alice Schwarzer bin auch ich für einen „Geschlechtervertrag“, für Gleichberechtigung.

Wagner in Spitzenhöschen und eine Cosima in Reitstiefeln, die auch mal fesselt oder zuschlägt. Ist das nicht eher ein Stück über sexuelle Fantasien als über bürgerliche Rollenbilder und die Lüge vom Mythos Wagner?

Weder der Staat noch die Männer besitzen ein Gewaltmonopol, auch Frauen schlagen zu: als Familienterroristinnen, als Mütter, als Autorinnen. Außerdem sind bürgerliche Rollenbilder per definitionem das Resultat von sexuellen Fantasien. Das ist alles verwoben – wie die „Bilder“ in einem marokkanischen Teppich. Der „Mythos Wagner“ ist genauso schal wie der Mythos von schädlichen Drogen.

Im Stück spielen Sie einen Wagner in Strapsen und Spitzen, während Brigitte Weckert als Cosima einen Anzug trägt und ihren Mann beherrscht. Ein schwacher Mann und eine starke Frau, die Kleider tauschen – ist das noch zeitgemäß? Oder werden hier konservative Geschlechterrollen nur umgekehrt, statt sie aufzuweichen?

Warum ist ein Mann in Strapsen schwach? Warum eine Frau mit Hosen stark? Was ist Schwäche? Alle Geschlechterrollen sind konservativ, wie das Theater selbst. Statt „aufweichen“ würde ich „spielerische Zerstörung“ sagen. Alle Aufklärung ist destruktiv. Und das ist gut so, es befreit.

Cosimo und Ricarda, Theaterhaus Köln, Klarastr. 53, Tel. 0221/261 11 50, nächste Vorstellungen: vom 2. bis 6. Juni, jeweils 20 Uhr