KUNSTRUNDGANG
: Harald Fricke schaut sich in den Galerien von Berlin um

Wolfgang Tillmans: Freischwimmer, bis 14. August, Di bis Sa 11–18 Uhr, neugerriemschneider, Linienstr. 155, 10115 Berlin

Manchmal korrespondieren Malerei und Fotografie hervorragend miteinander. Dabei ist es eher Zufall: Auf Kerstin Drechsels Gemälde, das in der Galerie Laura Mars Grp. gezeigt wird, sitzt eine junge Frau in der Hocke und pinkelt; bei neugerriemschneider ist ein nacktes Frauengeschlecht zu sehen, das Wolfgang Tillmans fotografiert hat. Beide Darstellungen sind auf die Scham fixiert, während die weibliche Figur ansonsten bekleidet bleibt. Tillmans zeigt einen Torso im T-Shirt, Drechsels Frau trägt Doc-Martin’s-Stiefel und blonde Haare. Am auffälligsten ist jedoch, wie alltäglich und nebensächlich die Situationen in Szene gesetzt sind: Zufriedene Erleichterung hier, stilllebenhafte Einkehr dort. Es gibt noch andere Verbindungslinien, jenseits der Sexualität als Lockmittel. In beiden Fällen werden dichte Milieus beschworen: Drechsel hat für „Poster_Box Teil 1“ Bilder mit einem hohen Grad an Privatheit gemalt. Koksende Girls, Impressionen aus dem Nachtleben, Lesben-Partys, Frauen-Wrestling. All diese Gemälde halten flüchtige Momente fest, Pastelltöne und ein schneller, fließender Farbauftrag sorgen für Einheitlichkeit. So werden soziale Kontexte in einen ästhetischen Zusammenhang transformiert. Dagegen verfährt Tillmans umgekehrt, mischt Porträts von Freunden oder dem Popsänger Morrisey mit Parklandschaften und abstrakten Fotoschleiern, sodass aus der Summe an Erscheinungen der Alltag imaginiert werden kann. Es sind ästhetisch weit gefächerte Phänomene, durch die sich bei Tillmans die Spur fotografischer Autorschaft zieht. Wo Drechsel gemalte Augenblicke streut und daraus formale Stimmigkeit gewinnt, arbeitet Tillmans auf eine atmosphärische Annäherung hin. Bei ihm ist das nackte Geschlecht ein zartes Image vielschichtiger Lebensentwürfe, bei Drechsel ist es ein Maelstrom, der Lebenswelten erzeugt.

Kerstin Drechsel: Poster_Box Teil 1, bis 25. Juni, Di bis Fr 12–19 Uhr, Laura Mars Grp., Sorauer Str. 3, 10997 Berlin