SPD jetzt knapp vor den Grünen

Die Grünen und ihr Spitzenmann Cramer sind dabei, die SPD in Berlin bei der Europawahl zu überholen: Mit 21 Prozent liegen sie nur noch 4 Punkte zurück. Letzter Trumpf der SPD: Wowereit

VON STEFAN ALBERTI

Manches Grinsen ist so breit, dass man es auch durchs Telefon sehen kann. Nach den jüngsten Umfragen für die Europawahl in elf Tagen gilt das für Michael Cramer, den Spitzenkandidaten der Berliner Grünen. Denn 21 Prozent der Berliner stimmen dabei für seine Partei – was die Grünen fast zur zweitstärksten Kraft in der Stadt macht. Die SPD liegt nur knapp voraus bei 25 Prozent hinter der CDU mit 32. Grünen-Landeschef Till Heyer-Stuffer macht dafür Cramer verantwortlich, ohne seinen Anteil genau zu beziffern. Der, seit 15 Jahren im Abgeordnetenhaus und als Verkehrspolitiker renommiert, hatte seine Wahlplakate mit dem anfangs etwas belächelten Slogan „Unser Zugfährt“ betitelt.

In einer Emnid-Umfrage der Morgenpost liegen die Berliner Grünen mit ihren 21 Prozent fast doppelt so gut wie 1999, als sie nur auf 12 Prozent kamen. Damals hatte vor allem der Kosovokrieg Stimmen gekostet. Die SPD erzielte vor fünf Jahren 27 Prozent und damit 2 Punkte mehr als derzeit. Die Wahlbeteiligung liegt nach jetzigen Einschätzungen bestenfalls auf gleichem Niveau wie 1999.

Mit dem Umfrageergebnis entfällt der Zusatz „voraussichtlich“, wenn es um Cramers Wechsel in das Europaparlament geht. Er liegt auf der bundesweiten Kandidatenliste der Grünen auf Platz 10, und 12 Mandate galten schon vor der Umfrage als möglich. Anders als bei Bundestags- oder Abgeordnetenhauswahl gibt es am 13. Juni keine Wahlkreise zu gewinnen.

Die Grünen schaffen derzeit, was unmöglich schien: auf Bundesebene mitregieren, aber für die Entscheidungen von Rot-Grün nicht abgestraft zu werden und sich auf Landesebene durch Oppositionsarbeit profilieren zu können. Was auch eine Rolle spielt: Die Kürzungen auf Bundesebene – etwa die 10 Euro Praxisgebühr – treffen den tendenziell nicht am Hungertuch nagenden Grünen-Wähler weit weniger als die SPD-Klientel.

Landeschef Heyer-Stuffer verweist zudem auf Untersuchungen, wonach die Grünen-Klientel das Thema Europa für deutlich wichtiger hält als Wähler anderer Parteien. Was bedeutet: Die Partei kann für eine Europawahl einen größeren Teil ihrer möglichen Wähler tatsächlich an die Wahlurne bringen als die Konkurrenz. Das macht sich gerade bei einer so geringen Wahlbeteiligung von voraussichtlich um die 40 Prozent bemerkbar. Hier zahlt sich sichtlich aus, dass die Grünen stärker als alle anderen auf europäische Wahlbotschaften setzen. Ein von der CDU plakatierter wurmstichiger rot-grüne Apfel hingegen zielt allein auf die Bundesregierung.

Die SPD setzt in der Endphase eines bislang wenig aufregenden Berliner Europa-Wahlkampfs offensichtlich auf die trotz aller Kürzungen von Rot-Rot noch vorhandene Popularität ihres Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit. Auf neuen Plakaten des Landesverbands wirbt er für die zwei SPD-Kandidatinnen Dagmar Roth-Behrend und Nicole Rosin. Sein Slogan klingt jedoch nach Rudis Resterampe: „SPD wählen lohnt sich. Zwei klasse Frauen für nur ein Kreuz“.