Die UNO spielt bei Regierungsbildung im Irak keine Rolle

Die Desavouierung des UNO-Sonderbeauftragten Brahimi trifft auch dessen Chef Annan. Allawi war einst Quelle für eine der infamsten Kriegslügen

GENF taz ■ Seit Mitte April hatte sich Lakhdar Brahimi, der Irak-Sonderbeauftragte von UNO-Generalsekretär Kofi Annan, in hunderten Gesprächen um die Bildung einer künftigen irakischen Interimsregierung bemüht. Eigentlich sollte Brahimi die Namen des Regierungschefs und seiner 26 Minister sowie die Mitglieder einer dreiköpfigen Präsidentschaft Iraks Ende Mai im Paket der Öffentlichkeit präsentieren. So verkündete es noch Montag letzter Woche US-Präsident George Bush.

Auch Kritiker des Irakkrieges und der anglo-amerikanischen Besatzungspolitik bezogen sich zuletzt immer wieder positiv auf die angekündigten „Vorschläge des UNO-Sondergesandten“. Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärte Brahimis Namensliste letzte Woche zum wichtigen Maßstab für die „Glaubwürdigkeit“ der geplanten „Machtübergabe an eine souveräne Regierung“, zu deren Absegnung Bush und Blair ja eine neue UNO-Resolution verlangen. Noch bei dem Telefonat Schröders mit Bush am Pfingstmontag, bei dem der US-Präsident die Unterstützung des Kanzlers für den Anfang letzter Woche unterbreiteten anglo-amerikanischen Resolutionsentwurf einforderte, war mehrfach von Brahimis Namensliste die Rede.

Dabei wussten Bush und Schröder zu diesem Zeitpunkt längst, dass es diese Namensliste nicht geben würde. Und dass die UNO bei der Bildung der Interimsregierung keine Rolle gespielt hat, die sich zur Rechtfertigung für künftige Entscheidungen, etwa im Sicherheitsrat, heranziehen ließe.

Die Namen der 29 Regierungsmitglieder, die gestern in Bagdad verkündet wurden, entsprechen weitgehend den Machtinteressen der im bisherigen provisorischen Regierungsrat vertretenen Personen und Parteien sowie dem politischen Kalkül der Bush-Administration. Das ursprüngliche Konzept Brahimis, die Interimsregierung vorrangig aus politisch unabhängigen und in der Bevölkerung glaubwürdigen Experten zu bilden, statt nach ethnischen, religiösen und parteipolitischen Kriterien, ist fast völlig gescheitert. Bushs Botschafter Robert Blackwill, der an den Bemühungen Brahimis beteiligt war, trug dieses Konzept angeblich mit. Die Desavouierung des UNO-Beauftragten und seines Konzepts begann spätestens, als die Washington Post durch eine gezielte Indiskretion Blackwills Anfang letzter Woche den Namen von Brahimis Kandidat für das Amt des Regierungschefs, Hussein Schahristani, als angeblichen Wunschkandidaten der USA veröffentlichte. Damit war Schahristani als Kandidat erledigt.

Auf Anweisung Blackwills und gegen den Willen Brahimis ernannte der provisorische Regierungsrat am Freitag dann mit dem Schiiten Ajad Allawi eines seiner Mitglieder zum künftigen Regierungschef. Der zumindest früher von den Geheimdiensten MI6 und CIA finanzierte Allawi war einst Quelle für eine der spektakulärsten Lügen, mit denen die Regierungen Bush und Blair den Irakkrieg zu rechtfertigen suchten: die Behauptung, das Regime von Saddam Hussein könne innerhalb von 45 Minuten Europa mit Massenvernichtungswaffen erreichen.

ANDREAS ZUMACH