Existenzielle Zweifel

Allein im Büro

Meine Chefin verschwindet manchmal. Meist nur für ein paar Stunden, dann wieder für Tage, Wochen. Ihre Abwesenheit ist genauso unvorhersehbar wie ihre unvermittelte Rückkehr. Auf einmal sitzt sie wieder an ihrem Schreibtisch mit dem Stapel unerledigter Dinge und entscheidet vor sich hin. Auch der Praktikant hat nicht gemerkt, dass sie wieder zurückkam. Er stellte nur irgendwann fest: Sie ist wieder da.

Er sagt immer: „die Chefin“ – auch wenn sie nicht da ist. Wenn nach ein paar Tagen jeder anfängt, zu machen, was er will, sagt er: „Die Chefin“ würde das aber nicht gut finden. Neulich war „die Chefin“ wieder einmal für ein paar Tage weg. Niemand wusste, wo sie war. Draußen fiel Schnee und ihre Heizung vereiste. Irgendwann traute ich mich in ihr Büro. Klopfte ein paar Mal an, keine Antwort. Jemand, sagte ich mir, muss ihre Blumen gießen. Oder den Fußball, den Kinder im Sommer durchs offene Fenster in ihr Büro gekickt hatten, von einer Ecke des Zimmers in die andere passen. Ich öffnete langsam die Tür.

Doch da saß sie wieder. Und strahlte. Ich fragte: „Du hier, Chefin?“ Und sie: „Ja, klar. Wieso?“ Und wollte sich partout nicht anmerken lassen, dass sie die ganze Zeit woanders gewesen war. So ist die Chefin, sollte der Praktikant später räsonieren. Tatsächlich war die Chefin gar nicht im Urlaub, nicht auf ’nem Symposium, einem Strategietreffen oder ’ner Fortbildung. Nein, fand ich heraus. Sie fuhr durch die Wüste. Die härteste Wüste der Welt. Saß auf Einladung des Scheichs von Dubai eine Etappe lang am Steuer eines Jeeps der Rallye Paris–Dakar. Dieses Jahr geht es von Buenos Aires über Santiago de Chile. Als die Chefin gestern Mittag essen war, konnte ich es verifizieren: An ihrem Bürosessel klebte feiner Sand. TIMO BERGER