Handwerker im Geiste

Ein scheuer Mensch: Morgen ist der Lyriker Johannes Kühn zu Gast im Mülheimer Theater an der Ruhr

Ich Winkelgast gemieden, nur besucht vom welligen Gelächter, das als Meer mir an die Stirne spült, bedenke, daß mein halber Groschen schwitzt.

(Aus: „Im Gasthaus“)

Wenn Johannes Kühn in seiner Dichterklause im saarländischen Kaff Hasborn hockt und seine Finger über die schwerfälligen Tasten seiner Schreibmaschine fliegen lässt, dann ist das für ihn eine Arbeit wie jede andere auch. „Dichten ist für mich ein Handwerk“, hat Kühn einmal gesagt, und wenn er soll, kann er das auch demonstrieren. Inspiration ist für den 70-Jährigen jedenfalls stets ein Fremdwort geblieben. Ihm genügt schon, ganz lapidar, ein Thema, ein Zuruf und prompt schreibt er los – Zeile um Zeile um Zeile.

Auch wenn er sein Schaffen bloß als Handwerk begreift und nicht etwa als hehre Bestimmung: Dass der gemeinhin als scheu geltende Lyriker alle seine Gedichte mit der Hand oder mittels einer Schreibmaschine verfasst, zeugt von einer Romantik des Dichtens, die heute zunehmend verschwindet. Lange Zeit war Kühn mit dem, was er zu Papier schaffte, recht erfolglos. Bis sich einige Kollegen für seine lakonische Form der Dichtung interessierten. Kühns neuer Ruhm gipfelt in diesem Jahr darin, dass er den Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg erhält. Die Jury ist angetan von Kühns ironischem Ton, der eine Art melancholische Lebensfreude vermittelt. Das Kapital des Dichters ist vor allem seine angenehm einfache, durchsichtige Sprache, die sich dem Leser buchstäblich zuwendet, da sie so nah, so authentisch erscheint.

Dass Kühn morgen Abend ins Mülheimer Theater an der Ruhr kommt, ist wirklich ein großes Glück. Gab es doch eine Zeit, in der sich der Autor völlig einigelte. Eine Dekade, eine Krankheit, die ihm beinahe die Sprache gekostet hätte. Er schwieg, litt, beendete jäh das Schreiben – und kehrte erst lange Zeit später aus der geistigen Finsternis zurück. Und zwar genau dorthin, wo er heute ein allerorts verehrter Handwerker, pardon, Lyriker ist.

BORIS R. ROSENKRANZ

Ein Abend für und mit Johannes Kühn Freitag, 20:00 Uhr Theater an der Ruhr, Mülheim Infos: 0208-5990188