Debatte: Arbeitsmaktpolitik nach den Hartz-Reformen
: Der Zug ist abgefahren

„Die Probleme müssen jetzt benannt werden, damit die Zugfahrt nicht im Chaos endet: Wir brauchen Sicherheit vor einem zweiten Toll-Collect-Desaster.“

Hartz IV kommt – ob wir wollen oder nicht, ob vorher begrüßt, schöngeredet, kritisiert oder in Gänze abgelehnt. Der Zug ist von einer großen Koalition von Bundestag und Bundesrat in verschärfter Form auf die Gleise gesetzt – und wäre jetzt nur um einen hohen Preis für eine kurze Zeit zu verschieben: Da das Inkrafttreten der Änderungen zum 1. Januar 2005 im Gesetz festgeschrieben ist, kann dies auch nur durch eine Gesetzesänderung mit Zustimmung der CDU/CSU im Bundesrat verschoben werden. Und da fordern CDU und CSU einen größeren Spielraum für die Länder, um bei der Festlegung der Regelsätze der Sozialhilfe noch unter die derzeitigen 345 Euro gehen zu können.

Einige stellen sich auf den Standpunkt, dies sei jetzt auch egal, denn noch schlimmer könne es auch nicht kommen. Doch für die einzelnen Betroffenen kann sich die Situation nochmals entscheidend verschlechtern! Auf dem Rücken der Arbeitslosen und sozial Schwachen darf jetzt weder eine „Augen zu und durch“- noch eine „Wir haben das doch alles schon ausprobiert, das geht problemlos“-Strategie gefahren werden. Und der verlogene Weg der CDU, die nach Verschiebung und Leistungskürzung ruft, ist inakzeptabel.

Dabei müssen die zahlreichen Probleme jetzt benannt werden, um Lösungen zu finden, damit die Zugfahrt nicht im Chaos endet: Anfang 2005 sollen in NRW rund 1,4 Mio Menschen neue Leistungen erhalten. Dazu werden bald Fragebogen verschickt, die kaum ohne Hilfe auszufüllen sind. Die Daten werden erfasst – aber ob und wie hoch der Leistungsanspruch sein wird, ist für die Betroffenen unklar. Rund 60 Prozent der bisherigen Arbeitslosenhilfe- und SozialhilfeempfängerInnen werden weniger erhalten als bisher, 20 Prozent ganz aus dem Leistungsbezug herausfallen – und der Rest wird in etwa auf altem Niveau bleiben. Die entsprechende Software kann die Datenerfassung, nicht aber die Verarbeitung leisten. Ob sie bis Januar 2005 läuft, ist ungewiss. Dementsprechend redet man bei der BA vom Produkt Banane: Es reift beim Kunden. Über eine so massive Veränderung beim Leistungsbezug braucht man aber schnell Klarheit, da es erheblicher Umstellungen im Leben bedarf. Und wir brauchen Sicherheit, dass die Leistungen pünktlich für alle ausgezahlt werden und es kein zweites Toll- Collect-Desaster gibt.

Ein wichtiger Grundsatz von Hartz war der Ansatz, nicht nur Geldleistungen zu kürzen, sondern mehr Hilfestellungen bei der Suche nach Arbeit und Ausbildung anzubieten. „Fördern und Fordern“, lautete das Motto. Jetzt kommt das Fordern, aber das Fördern scheint im Moment ins Hintertreffen zu geraten.

Kaum einer vor Ort beginnt Strukturen aufzubauen, um den Bereich auch mit Inhalt zu füllen. So soll beispielsweise allen Jugendlichen bis zum Alter von 25 Jahren eine Ausbildung ermöglicht – oder wenn das nicht möglich ist – eine Arbeit oder Arbeitsgelegenheit, die auch zur Verbesserung der beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten beiträgt, vermittelt werden. Doch wenn das – und nicht Tütenpacken im Supermarkt – Realität werden soll, dann müssen jetzt Ausbildungsplätze geschaffen, Arbeitsplätze und gesellschaftlich sinnvolle Arbeitsgelegenheiten aufgebaut werden, um den Bedarf zum 1.1.2005 auch zu decken.

Doch stattdessen hört man fast ausschließlich Forderungen nach der notwendigen finanziellen Entlastung der Kommunen um 2,5 Milliarden Euro – statt die politische Verantwortung aktiv zu übernehmen.

BARBARA STEFFENS