Schleichende Verschmelzung

An die politische Fusion von Berlin und Brandenburg glaubt mittelfristig kaum einer. In vielen Bereichen sind die Länder aber schon zusammengewachsen

Um den Stand der gemeinsamen Innovationsstrategie soll es vorrangig gehen, wenn am heutigen Dienstag in Potsdam der Berliner Senat und die Brandenburger Landesregierung zusammen tagen. Zugleich steht der „Aufbau zukunftsfähiger Wirtschaftsstrukturen“ im Umfeld des Flughafens Berlin Brandenburg International (BBI) auf der Tagesordnung. Die bislang letzte gemeinsame Sitzung gab es im November 2007. Die geplante Fusion beider Länder war 1996 am Widerstand der Brandenburger gescheitert. Ein Neuanlauf ist nicht in Sicht. Doch auch in wilder Ehe hat sich zwischen den beiden Länder eine enge Beziehung entwickelt. STA

An diesem Dienstag müssen sie ein paar Stühle dazustellen in der Potsdamer Staatskanzlei unweit vom Hauptbahnhof. Wo sonst Brandenburgs Landeschef Matthias Platzeck mit seinen neun MinisterInnen unter sich ist, kommen heute Kollege Klaus Wowereit und seine achtköpfige Regierungscombo vorbei. Berliner und Brandenburger an einem Kabinettstisch, das hätte es nach einer Fusion beider Länder längst wöchentlich statt einmal jährlich geben sollen. Doch eine erste Abstimmung scheiterte, weitere Anläufe verliefen im Sand (siehe rechter Text). Ungeachtet dessen sind die Länder schon in vielen Bereichen zusammengewachsen.

Zwar beschränken sich die offiziellen politischen Kontakte auf rare gemeinsame Sitzungen der Regierungen und Fraktionsführungen, und nur manchmal kommen, wie demnächst bei der SPD mit einer gemeinsamen Besichtigung des Flughafens BBI in Schönefeld, auch größere Politikergruppen zusammen. Dennoch sind Berlin und Brandenburg keineswegs auf ewig zweigeteilt. Denn unterhalb der Ebene der politischen Fusion gibt es eine Fülle von gemeinsamen Projekten und Zusammenarbeit.

Zum Beispiel stellten am Montag voriger Woche die Zuständigen für Gesundheit und Verbraucherschutz beider Länder in Berlin ein gemeinsames Landeslabor vor. Zwei Tage später startete eine gemeinsame Internetseite zum Thema Bildung, ein ebenfalls bundesweit einmaliges Angebot. Brandenburgs Bildungsminister Holger Rupprecht ließ sich dabei zu dem Satz hinreißen: „Wir werden nicht die Fusionsverhinderer sein.“ Im Bildungssektor gibt es zudem ein gemeinsames Landesinstitut für Schule und Medien und ein Institut für Schulqualität, das Standards für die Region entwickeln soll.

Am weitesten fortgeschritten aber ist die Verschmelzung im Bereich der Justiz: Die Länder haben gemeinsam ein Oberverwaltungsgericht in Berlin, ein Finanzgericht in Cottbus, ein Landessozialgericht in Potsdam und als jüngste Errungenschaft ein Landesarbeitsgericht in Berlin.

Eine herausragende Stellung hat auch die Gemeinsame Landesplanungsabteilung (GL), für die Raumordnung und Landesplanung in Berlin und Brandenburg zuständig. Sie ist in ihrem Bereich bundesweit die einzige oberste Zweiländerbehörde.

Ein ganz großer Berührungspunkt ist das gemeinsame Flughafenprojekt BBI, das von beiden Ländern und vom Bund getragen wird. Zudem versuchen beide Länder, sich national und international als einheitliche Region darzustellen, tun das unter dem Motto „The German Capital Region“. Dazu gibt es seit 2006 auch ein offizielles Leitbild der Hauptstadtregion. Gemeinsam betreibt man auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk unter dem Dach des RBB, in dem 2003 SFB und ORB aufgingen. Gleiches gilt für den Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg mit einheitlicher Tarifgestaltung.

Auf einer gemeinsamen Berlin-Brandenburg-Seite im Internet geben sich die heute zusammen tagenden Länderchefs Wowereit und Platzeck zuversichtlich: Berlin könne ohne Region keine Metropole sein, heißt es da. Und Brandenburg profitiere von der großen Ausstrahlung und der Internationalität Berlins in seiner Mitte. „Gemeinsam sind wir stärker“, schreiben sie. Eine komplette Fusion aber ist trotz solcher Bekenntnisse auf absehbare Zeit für beide kein Thema. Solange es keine Aussicht auf Erfolg habe, will sich im Roten Rathaus keiner daran die Finger verbrennen. Dort sind sie übrigens nächstes Jahr mit dem Stühle-Ranstellen im Kabinettssaal dran – dann kommen die Brandenburger. STEFAN ALBERTI