schwabinger krawall: ladenschlussworte von MICHAEL SAILER
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Angefangen hat es mit Frau Schusters Lebensmittelgeschäft. Das war nach 31 Jahren eines Morgens geschlossen geblieben. Schuld war ein neu eröffneter Supermarkt vier Straßen weiter, in den zwar eigentlich niemand hineingehen wollte außer den Schulkindern – weil man dort Süßigkeiten kaufen konnte, ohne dass es die Mama erfuhr –, in den aber doch jeder ging, weil es dort zwar nicht billiger war, aber zumindest aussah, und der Mensch ist halt ein Empfindungswesen.

Eine Zeit lang blieb der Laden leer bis auf einen Zettel mit der Aufschrift „Ankleben verboten!“, unter dem bald – der Schulweg führte vorbei – eine Reihe Kaugummis anklebte. Dann machte Metzgermeister Wirth ebenfalls zu, weil er und seine Frau in Rente gingen und der Supermarkt eine Fleischtheke eröffnete. Als nächstes erwischte es den Bäcker – der Trend ging zum verpackten Vollkornbrot –, dann die Drogerie, weil es auf einmal überall Filialen einer Kette gab, die nicht nur billig aussah. Übrig blieb vorläufig der Gemüseladen.

Man wisse langsam überhaupt nicht mehr, wo man einkaufen solle, sagte Frau Hammler zu ihrem Mann, der murrte, sie solle eben in den Supermarkt gehen. Da, entgegnete seine Frau, gebe es keinen König-Ludwig-Feigenkaffee und Semmeln nur in der Plastiktüte zu zwölf Stück, und die Weißwürste seien auch nichts, habe er selbst gesagt. Herr Hammler zuckte mit den Schultern.

Nach einiger Zeit eröffnete ein neuer Bäcker, aber nicht nur einer, sondern gleich drei waren plötzlich da, die allerdings derselben Kette angehörten und exakt dasselbe Sortiment anboten. Die aus tiefgekühlten „Teiglingen“ aufgebackenen Brezen, die im Laden rösch hergelacht hatten, fand Frau Hammler bei der Heimkehr in eine Art Dauerbrezen mit Gummischleimüberzug verwandelt. Eine der drei Filialen verschwand wenige Monate später wieder und wurde durch einen Telefonladen ersetzt. Telefone brauchte niemand, deshalb fiel kaum auf, dass in der Folgezeit Bekleidungsgeschäft, Trauerhilfe-Agentur, Wäscherei, Schuhmacher, Bankfiliale und der ehemalige Metzger ebenfalls in Telefonläden umgewandelt wurden, während Drogerie, Blumengeschäft, Buchhandlung, Bettengeschäft, Frau Schusters Laden und der Gemüseladen zu Pizzabäckereien wurden.

Es sei direkt schade, dass er kein Telefon oder eine Pizza brauche, sagte Frau Hammler eines Tages zu ihrem Mann, während sie die karge Ausbeute ihrer Einkaufsbemühungen auspackte. Ein Telefon brauche man schon, sagte ihr Mann, damit könne man immerhin eine Pizza bestellen. Diese Telefone seien aber zum Zuhausetelefonieren gar nicht geeignet, sagte Frau Hammler, sondern damit telefoniere man beim Autofahren, und beim Autofahren brauche niemand eine Pizza.

Pizzabäckereien und Telefonläden wurden langsam wieder weniger, und statt bunter Auslagen war nun in den Schaufenstern gar nichts mehr zu sehen außer vertikalen Jalousien. Das seien jetzt alles Büros, wusste Herr Hammler, das habe man heute so. Und seine Frau überlegte, ob es nun wohl in den ehemaligen Büros, die in ehemaligen Wohnungen gewesen waren, Brot, Gemüse, Wurst, Telefone und Pizzas zu kaufen gebe; aber das fragte sie lieber nicht.