Der Honig der Zuversicht

Nach den Williams-Schwestern, nach Roger Federer und Justine Henin-Hardenne, muss auch Lleyton Hewitt bei den French Open einmal mehr erleben, dass die Aura der Unbesiegbarkeit dahin ist

AUS PARIS DORIS HENKEL

Über die Aufmachung haben immer schon alle geredet. Über Serenas einteiligen schwarzen Catsuit damals in New York, über die Hotpants diesmal in Paris und über das Ohrgehänge von Venus auch; mal rund, mal länglich, immer groß.

Aber das ist es nicht, worum es geht; bauchfreie Kostüme und lila Lidschatten machen keine Aura aus. Als die Russin Anastasia Myskina nach dem Sieg im Viertelfinale gegen Venus Williams gefragt wurde, ob diese fast mystische Wirkung der Williams-Schwestern aus Sicht der anderen Spielerinnen erst einmal verschwunden sei, meinte sie: „Auf jeden Fall. Sie sind ja gerade erst zurückgekommen, haben Monate verloren, und die anderen haben in der Zeit gearbeitet. Und jetzt glauben wir natürlich, dass wir mit ihnen kämpfen können.“

Mehr als Vorhand oder Rückhand, Aufschlag oder Volley ist es oft die ganz spezielle Botschaft, die die Großen des Sports wie einen Sternenmantel tragen. „An mich kommst du nicht ran“, steht darauf, „ich gewinne, was ich will“. Nur kann man einen solchen Mantel nicht kaufen; man muss ihn sich verdienen, am besten mit Siegen in Serie. Fünf der sechs Grand-Slam-Turniere zwischen Mai 2002 und Juli 2003 hatte Serena Williams gewonnen, und mit der Leuchtkraft dieser Siege präsentierte sie sich, wo sie ging und stand. Das machte in jedem Spiel ein paar Punkte aus, und manchmal waren es die entscheidenden. Die Serie hielt bis zu ihrer Knieoperation im Sommer vergangenen Jahres.

Jennifer Capriati hatte so eine Serie zwischen 2001 und Anfang 2002 mit Siegen in drei von fünf Grand-Slam-Turnieren. Auch sie trug den Mantel, der beim Breakball im entscheidenden Satz Mut macht, der Kraft gibt, einen scheinbar aussichtslosen Rückstand aufzuholen, und der wärmt, wenn der Wind der Gefahr durchs Stadion pfeift. Aber an Capriatis Beispiel wird auch deutlich, wie schwer es ist, später ohne diese Hilfe auszukommen. Als ihre Serie gerissen war, kehrte sie gewissermaßen in den Kreis der normalen Spielerinnen zurück und verlor Matches, die sie Monate zuvor einfach deshalb gewonnen hätte, weil sie nicht an sich zweifelte.

Und je öfter sie die großen Spiele verlor, desto schwerer lastete der Zweifel auf ihren Schultern, desto lauter wurde die innere Stimme mit der Frage: Schaffst du das diesmal wieder nicht? Als sie vergangenes Jahr bei den US Open in New York in einem der spektakulärsten Spiele der vergangenen Jahre gegen die von Krämpfen geplagte Justine Henin-Hardenne nicht gewinnen konnte, obwohl ihr zehnmal nur zwei Punkte zum Sieg gefehlt hatten, da war sie der Verzweiflung so nah wie nie zuvor in ihrer wechselvollen Karriere. Diejenigen mit der positiven Aura saugen Honig aus der Zuversicht, nicht verlieren zu können, die mit der negativen Aura schlucken Gift mit der Angst, nicht mehr gewinnen zu können. Doch mit Jennifer Capriatis Sieg in drei Sätzen gegen Serena Williams sind die Stimmen nun endlich wieder still; von einer Last befreit wird sie heute auf den Platz gehen zum Halbfinale gegen Anastasia Myskina.

So ist das mit der Aura. Es ist schwer, sie zu erwerben, und noch viel schwerer, sie zurückzuholen. Frag nach bei Lleyton Hewitt, der zwei Jahre lang die Nummer eins des Tennis war und seit Monaten wie ein Verrückter darum kämpft, wieder einen großen Titel zu gewinnen. Gestern verlor der Australier sein Viertelfinale gegen den Argentinier Gaston Gaudio glatt mit 3:6, 2:6, 2:6. Frag nach bei Roger Federer oder Justine Henin-Hardenne, die nach einem Flug über den Wolken erst mal wieder auf dem Boden der Tatsachen gelandet sind und die ahnen, dass die nächsten Wochen nicht leicht sein werden. Für die große Mehrzahl aller Spieler mag Argentiniens Halbfinalistin Paola Suarez als Beispiel gelten, die von sich behauptet, alles, was sie aus sich gemacht habe, sei harter Arbeit zu verdanken. Arbeit statt Aura.

Manche tragen den Mantel mit der unsichtbaren Schrift am liebsten an einem bestimmten Ort – wie Pete Sampras oder Boris Becker in Wimbledon; manche, wie der argentinische Halbfinalist Guillermo Coria, auf einem bestimmten Boden (Sand) und andere wie Gustavo Kuerten … Nein, falsch. Der trägt im Stade Roland Garros keine Aura, sondern, selbst wenn er verliert, einen Heiligenschein.