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Warten auf Zinedine Zidane

Bilder sammeln und in Alben kleben – so richtig prickelnd klingt das nicht. Spätestens die Fußball-Europameisterschaft in Portugal wird der italienischen Firma Panini wieder enorme Umsätze bescheren. Was ist das Geheimnis dieser charmanten Besessenheit, die Geschlechter und Generationen verbindet?

VON JAN FREITAG

Malina steht auf „Findet Nemo“ und findet ihren Liebling fast täglich. Besonders die „Glitzis“ haben es der Schülerin aus St. Pauli angetan. Ihren Freundinnen auch, also wird getauscht und die seltenen glitzernden Metallic-Sticker mit dem Clownsfisch stehen hoch im Kurs. Stefan steht dagegen mehr auf Fußball, logisch. Gerade vor Welt- und Kontinentalmeisterschaften juckt es ihm in den Fingern. Dann trifft er sich, wie schon 2002, mit Kumpels und feilscht um Doppelte brasilianische Verteidiger oder europäische Verbandswappen.

Malina und Stefan sind sich in ihrer Leidenschaft für Sammelklebebilder also ziemlich ähnlich – und doch grundverschieden: Malina ist ein achtjähriges Mädchen und finanziell abhängig – von Stefan. Denn Stefan, Burmeister mit Nachnamen, ist Malinas Vater, 35 Jahre alt und als Bestatter recht kaufkräftig. Und als Stefan so alt war wie Tochter Malina, damals, Ende der Siebziger, erlebte das Einkleben von WM-Bildern in Sammelalben einen ersten Höhepunkt: Argentina ’78, die Schmach von Cordoba, klingelt’s?

Damals, als Deutschland gegen Österreich verlor und Hersteller Panini zum zweiten Mal deutsche Fußballfans mit in Tüten verpackten Bildern versorgte, hießen Fußballer noch Karl-Heinz, Horst und ganz selten Bum oder Kevin. Sie erinnerten optisch oft an polnische Gewerkschaftsführer und kosteten im Tütenverbund 25 Pfennig. Jetzt sind es 50 Cent. Es hat sich viel gewandelt im Klebebilderkosmos. Aber es gibt Konstanten: Noch immer bilden Präpubertierende vor Kiosken Rudel, investieren ihre Barschaft in Haftbelege aktueller Sportereignisse, angelaufener Blockbuster oder angesagter Comics. Noch immer ist der rare Topstar auch eine Chance für Außenseiter, sich in der Clique Respekt zu erwerben: Tausche einen Zidane gegen zwei Portugiesen!

Eine Milliarde Tüten

Vor allem aber sind Sportserien – neben Walt Disneys Kreaturen – noch immer ein äußerst einträgliches Geschäft. Eine Milliarde Tüten wirft Quasimonopolist Panini Jahr für Jahr von Italien aus auf derzeit 80 nationale Märkte – Barbie bis Bundesliga, Pokemon bis Potter, Manga bis Tierbabys. Nur die britische Marke Merlin hält mit Yu-Gi-Oh oder Spongebob mit.

Respekt, meint Birgit Barner, Marketingmanagerin bei Panini, „da waren die schneller als wir“. Ganz im Gegensatz zu Bergmann, Americana, Sicker, Eikon, Ulli Bilderdienst und wie sie alle hießen. Die ehemaligen Konkurrenten waren obenauf, als es auch Bonanza und Pelé waren. Inzwischen ist der Markt bereinigt, Panini schluckt eine Lizenz und eine Firma nach der anderen. Erst 2002 erwischte es den Stuttgarter Dino-Verlag samt der Rechte an Star Wars, Simpsons und GSZS.

Und das ist nicht der einzige Generationenwechsel. Zwar zählt, wer vor 50 Jahren als Bub Margarinebilder in dicke Bände geleimt hat, kaum zu den späteren WM-Paninisten, doch wer vor knapp 20 Jahren auf dem Pausenhof mit Briegel, Krankl, Platini handelte, könnte bei der EM 2004 durchaus wieder mitmischen, zumal Ferrero seit 1982 seine Schokoriegel unbeirrt mit deutschen Nationalspielern bestückt.

Die Befriedigung des Besitzens

Und natürlich ist auch Panini in Portugal wieder dabei. Nicht im selben Umfang wie zum letzten globalen Turnier, aber doch auflagenstärker als etwa zur Champions League. Mehr als die Hälfte der Bildchensammler sind sechs- bis vierzehnjährige Mädchen und Jungen. Sie haben, so Paninis PR-Frau Barner, „Lion King“ zum weltweit bestverkauften Album gemacht. Dass die vorige WM auf Platz zwei landete, ist dagegen auch Käufern wie Stefan Burmeister zu verdanken: „Fast jeder Vierte“, so Barner, „ist über 25 und Fußballfan.“

Die Gründe sind vielfältig: im Zuge einer beginnenden Midlifecrisis, aus Liebe zum Sport oder, wie es Andreas Steinle vom Hamburger Trendbüro formuliert, aus „tief sitzender Befriedigung des Besitzens“ und einer nachdenklichen „Beschäftigung mit der Vergangenheit“.

1978 zum Beispiel, als Panini und Americana deutsche Schulhöfe eroberten. Auf dem Titelblatt vom längst bankrotten Verlag aus München: Berti Vogts auf Kinnhöhe von Kaltz, Maier, Rüssmann, Hand an der Naht wie beim Bund. Im Inneren war für Vornamen so wenig Platz wie für andere Farben als Mattblau und Blassrot. Vier Jahre später sahen die Bilder schon nicht mehr aus wie vom gymnasialen Fotokurs. Man erfährt sogar, dass Breitner aus Kolbermoor stammt und Paul heißt. Aber was ist das im Vergleich zu heute.

Im Band zur laufenden Bundesligasaison haben die Spieler Biografien, nicht selten das Zeug zum Mädchenschwarm, oft eigene Homepages und selten deutsche Pässe. Nur die Probleme der Jugend sind die gleichen. Wo ein Zwölfjähriger anno ’82 vergeblich Horst Hrubesch herbeisehnte und auf zehn Jean-Marie Pfaffs sitzen blieb, haben sich heute zwar die Namen, nicht aber die Relationen geändert. Manipulation? „Natürlich nicht“, behauptet Birgit Barner. Es gebe keine Verknappungen, eher Überschüsse, weil jede Serie auf einem Bogen gedruckt wird und Freiflächen gefüllt werden. Selbst wenn das stimmt, steckt der junge Sammler in der Klemme. Weiterkaufen? Teuer! Nachbestellen? Undenkbar! Aber leere Felder erst recht. „Männer wollen was komplett und Frauen was Schönes haben“, vorverurteilt Max Goldt sammelnde Gemüter – und vergaß dabei den Jagdtrieb.

Das beste Beispiel ist Gerd Päsler. Der 51-Jährige hat seit seiner Kindheit gut 3.000 Alben komplettiert – vom kaiserlichen Zigarettenbild bis zu Barbie 2000. „Für mich ist das ein Stück vom Leben.“ Und das bündelt er in einem Katalog, den der Dortmunder in 3. Auflage herausgibt. „Cards und Tütenbilder“, die Bibel der Szene. Experten wie Päsler sammeln nicht wahllos, mit zwei von 100 Fehlenden pro Tüte (unter Kennern ein Erfolg); sie setzen auf Onlinebörsen wie „stickerbasar“, „die-bildersammler“ oder „klebebildchen“, lokale Tauschbörsen – und eBay. 1.600 Einträge bringt dort das Stichwort Panini.

Kiosk? Zu kindisch!

Eine Tüte UFO 1973 geht für 3,20 Euro über die virtuelle Theke, 120 nummerierte Nemo-Sticker kosten 13 Euro, 100 EM-Tüten über 30 Euro. Profis brauchen keinen Sammelkick, der stört nur den Vollständigkeitstick. „Ich kaufe fast nur bei eBay“, sagt auch Wolfgang Prochocki, Postler aus Herne. Zum Kiosk geht einer wie er selten. Zu teuer, zu unsicher, zu kindisch sei das.

Mit 75.000 Stickern in 300 Alben hat Prochocki eine der größten Kollektionen selbstklebender Bilder und bietet auf seiner Homepage 6.000 Doppelte zum Tausch. Nicht schlecht, bei mehr als 600 Alben, seit Panini 1971 das Abziehbildprinzip einführte. „Es ist eine Art Sport“, meint er und erklärt die Regeln: Zwei Alben kaufen, nichts eintragen, Gratissticker und Werbung im Heft lassen, sauber kleben. Bei der WM 1958 war der Debütant, damals 8, gelassener. Was nicht im Ofen der Eltern endete, wurde beim Zielwerfen entwertet. Jetzt sagt er stolz, „Herr der Ringe“ mit „dreimal Tauschen ohne Kaufen voll bekommen“ zu haben.

Prochocki ist ein Sammler der alten Schule. Er sammelt um des Sammelns Willen, nicht wie Stefan Burmeister als Event oder wie Tochter Malina, weil sie Nemo so niedlich findet. Es sei eben ein Mix aus Beschäftigungstherapie, Sinnsuche und Kommunikation, meint Trendexperte Steinle.

Bei Wiederholungstätern wie Stefan Burmeister kommt ein weiteres Motiv hinzu: Angst vorm Erwachsenwerden. Bis zur WM 2002 steckte das Klebefieber in ihm und schlief. „Plötzlich merkte ich, dass ich nicht allein bin“, beschreibt er sein Coming-out. In seinem alternativen Wohnprojekt fand er sechs Gleichgesinnte, dealte fortan aus dicken Stapeln, lachte über Paninis Drohung, die Serie aus Protest gegen falsche Schiedsrichterpfiffe gegen die Squadra Azzurra zu stoppen, und wartete vergebens auf die zu spät gelieferten Iren.

Auch das gehört dazu, denn für jedes Bild sind Verträge mit Verband, Sponsoren und Spieler nötig. Bei der anstehenden EM fehlen deshalb Oli Kahn und halb Dänemark. Rund 1.000 Euro Lizenzgebühr pro Spieler sind einigen offenbar zu wenig.

Sammelbilder haben also auch ernste Seiten – nicht vor dem Krieg, als Tabak und Margarine mit Bildern von Kanonen oder deutscher Leitkultur bestückt waren. Auch heute steigern Sticker das Image von Süßigkeiten, heizen Filme schon vorm Kinostart an oder untertiteln – wie in Israel – Soldaten mit Sätzen wie „Die IDF verteidigt uns und wird Frieden bringen“. Und erinnert sich jemand an die Titanic-Beilage mit Rudis leidenden Spielern zum Aufkleben? Das fand nicht jeder witzig.

Nachkaufen gilt nicht

Im Grunde genommen ist Klebebilder-Sammeln aber eine friedliche Passion meist männlicher Normalbürger. Sie sorgen dafür, dass der Panini-Bilderdienst in Modena Nachbestellungen nur im Schichtdienst bewältig, WM für WM. Sie freuen sich, dass man beim Schokoriegel Duplo von außen schon die Motive erkennt. Sie spinnen Verschwörungstheorien über den gezielten Mangel einzelner Bilder, um die Käufer bei der Stange zu halten. Sie glauben trotzdem, die Motive landen nach einem errechnetem Zufallsprinzip in der Tüte – schließlich sind Doppelte eine Art Währung, Tauschen ist der halbe Spaß. Und Nachkaufen gilt nicht.

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