Kein Anlass, Vorurteile aufzugeben

betr.: „Gefangene der Tradition, nicht des Islam“, taz vom 25. 5. 04

„Muslimische Frauen kämpfen nicht nur mit rückständigen Ansichten im eigenen Kulturkreis. Auch der Westen beglückt sie immer wieder mit Fragen, die ihnen von gestern dünken. Ob Frauenrechte und Islam vereinbar sind, ist so eine Frage“, schreibt Heide Oestreich über die Konferenz „Frauen in der islamischen Welt, Musliminnen in Deutschland“ im Auswärtigen Amt in der vergangenen Woche. Für die Teilnehmerinnen der Konferenz sei diese Vereinbarkeit selbstverständlich gewesen. Genau das haben zwar alle Frauen tatsächlich gesagt – etwas anderes zu sagen war auf dieser Konferenz allerdings auch kaum möglich.

So zeichnete die Erziehungswissenschaftlerin Wedad Abu Saud aus Saudi-Arabien ein durchweg positives Bild der Frauen in ihrem Land. Frauen seien zwar nicht in der Regierung vertreten, könnten aber über ihre aktive Beteiligung an der Zivilgesellschaft und Jobs in der Privatwirtschaft Einfluss nehmen auf die Regierung. Warum aber erwähnte sie nicht, dass Frauen in Saudi-Arabien keinen Führerschein machen dürfen und erst seit kurzem einen Personalausweis erhalten – und das auch nur mit Zustimmung ihres Vormundes. Lag es vielleicht daran, dass der Herr, der auf der Konferenz im Publikum neben mir saß und laut Namensschild Angehöriger der saudi-arabischen Botschaft war, während des Vortrages seiner saudischen Landsfrau so eifrig mitschrieb? Jedenfalls ist es nahezu selbstverständlich, dass Frauen, die ins Auswärtige Amt als Vertreterinnen der Islamische-Welt-Länder geladen werden, diese ihre Welt nicht zu harsch kritisieren und vor allem kritisieren lassen wollen.

So hatte ich wenig Anlass, meine eigenen Vorurteilen aufzugeben: Islamische Gesellschaften sind in Frauen- und Männerräume aufgeteilt, und diese Aufteilung geht zu Lasten der Frauen. Muslimische Frauen laufen, wenn sie kein Kopftuch tragen, Gefahr, als unrein zu gelten. Und das auch dann, wenn sie Richterinnen oder Professorinnen sind. Diese Ungleichheit der Geschlechter wird vom Islam vorgegeben. Wenn die Frauen das Gegenteil behaupten, dann doch nur, weil sie nicht die Wahrheit sagen können und womöglich ihre eigene Unterdrückung internalisiert haben.

Genau mit diesen Vorurteilen aufzuräumen war aber doch Ziel der Konferenz – das klang jedenfalls in der Eröffnungsrede der Staatsministerin Kerstin Müller durch. Ein solches Ziel kann auch durchaus verwirklicht werden. Nämlich dann, wenn Frauen aus islamisch geprägten und aus westlichen Ländern ihre Treffen nutzen, um über konkrete Fragen zu sprechen. Wie zum Beispiel sind Kindererziehung und Beruf in Malaysia vereinbar, gibt es Frauenquoten in der Privatwirtschaft in Ägypten und können Männer im Iran Erziehungsurlaub nehmen? In Saudi-Arabien haben Frauen bei gleicher Bezahlung wie Männer nur sechs Stunden Arbeitszeit und eine lange Mittagspause, so seien Familie und Beruf gut vereinbar, sagte eine saudische Teilnehmerin. Aha, da kann doch Deutschland was lernen von diesem islamischen Land! Und darüber könnte gesprochen werden, dann wäre gar kein Platz mehr für Vorurteile.

Leider hat die Konferenz diese Chance vertan. So wusste ich am Ende nicht viel mehr als zu Beginn, nicht mal welches Interesse eigentlich Kerstin Müller, die Verantwortliche dieser Konferenz, an Frauen in islamischen Ländern hat. KIRSTEN WIESE, Berlin