Die Liebe wird uns retten

Gib nicht auf – das wirkliche Leben existiert: In der Kalkscheune brachte der labile Held authentischer Verlustgefühle Daniel Johnston seine schönen Lieder für Gefühlsfeinmotorische zum Vortrag

Im minimalen Spiel und Gesang sind die Melodien der Stücke nur angedeutet

von DETLEF KUHLBRODT

Komisch, über Legenden zu schreiben, weil man muss sie ja wiederholen, weil nicht jeder sie kennt. Daniel Johnston also; labiler Held authentischer Verlustgefühle, LoFi-Vorreiter der Neuen Aufrichtigkeit. Große Alben. Fanatischer Beatles-Fan. Stets unglücklich verliebt. Begann mit 17, Songs zu schreiben, die er mit einem Billigrecorder im Keller seiner Eltern aufnahm. Thematisch ging es um „Beerdigungsunternehmen und solche Sachen“. Später arbeitete er bei McDonald’s, verschenkte seine Homegrown-Tapes, wurde Mitte der Achtziger zur lokalen Berühmtheit, spielte auf MTV und kriegte dann einen Knacks; fühlte sich von Dämonen umstellt und landete immer wieder, zuweilen für Jahre, in der Nervenklinik.

Mittlerweile hat er über 300 Songs geschrieben, 27 Alben aufgenommen und zahllose seltsame Bilder gemalt: Boxer mit aufgeschnittenen Köpfen zum Beispiel, in denen gute Geister sitzen, führen ewige Kämpfe gegen den Teufel. Spätestens nachdem Kurt Cobain im September 1992 sein „Hi, how are you“-T-Shirt bei der Verleihung eines MTV-Preises getragen hatte, wurde der in Austin (Texas) lebende Musiker zum Geheimtipp in größeren Kreisen. Dann gab’s wieder eine Krise, zwischen 1994 und 2001 veröffentlichte er nichts mehr Neues und 1999 war es eine kleine Sensation, als er nach langem Verhandeln im großen Saal der Volksbühne auftrat.

Inzwischen tourt der Singer-Songwriter meist solo und vor allem auch ohne seinen Vater, der ihn managt: Letzten Herbst gab’s eine Ausstellung mit seinen Bildern in Berlin und er trat auf einer von David Bowie inszenierten Konzertreihe in London auf, dann brachte er mit Band („Danny & the Nightmares“) ein neues, schönes, Rock-’n’-Roll-orientiertes Album „Fear Yourself“ raus; seit April ist er auf USA- und Europa-Tour: 50 Konzerte, von denen 9 wegen Krankheit ausfielen, was für Daniel Johnston, der mehr Geld mit seinen Bildern als mit seiner Musik verdient, eine okaye Quote ist. Klingt nach gelungenem Leben.

Die Kalkscheune ist ein komischer Ort. Überall stehen runde Tische, an denen Leute sitzen, so dass man nicht stehen kann, weil man den Leuten die Sicht versperren würde. Mehr Frauen als Männer, schöne Frauen vor allem, was vielleicht einleuchtet, weil Daniel Johnston so viel über Liebe und das Verlassenwordensein singt und viele Männer ja gefühlsgrobmotorisch so sind. Eine Frau trägt dies wunderbare „Hi, how are you?“-T-Shirt und singt viele Songs mit. Aber eher für sich so. Auf der Bühne stehen: ein Klavier, eine Akustikgitarre und ein kleines Tischchen mit 1 Liter Cola, 1 Liter Mineralwasser und Glas mit Eiswürfeln. Eilig in Sekundenschnelle huscht der schwergewichtige Künstler auf die Bühne hinters Klavier, nuschelt kurz was Begrüßendes und beginnt zu spielen.

Es geht um schöne Frauen aus Magazinen, die einen verwirren. Während des ganzen Konzerts spielt er nur zwei bekanntere Stücke. Im minimalmonotonen Spiel und Gesang sind die Melodien der Stücke, die auf seinem neuen Album mit Band wie Smashhits klingen, eher nur angedeutet, im Hintergrund. Ganz kurz nur plötzlich Klaviergeklimper wie aus einem Westernfilm. Von der Seite sehen seine Haaren aus wie Helge Schneiders, aber das liegt vielleicht nur am Licht. Ein Stück nach dem andern ohne aufzuschauen.

Nach einer Viertelstunde erzählt er übergangslos von einem Traum, in dem jemand, der versucht hatte, sich umzubringen, zum Tode verurteilt worden war, und dann weiter. Ziemlich spät schnell noch ein „Wie geht’s euch“ und so. Der zweite Konzertpart auf der Gitarre. Geschrammel und im Hintergrund die Schönheit der Lieder: nicht ganz so herzzerreißend wie beim Volksbühnenauftritt. Aber wenn irgendwas uns retten kann, dann natürlich die Liebe. Auch: „Don’t give up – real life exists.“ Erst am Ende zwei Hits: „Casper the friendly Ghost“ und „True love will find you in the end“. Kurze Rede ans Publikum: „I love Germany very much! I’m a great fan of World War 2“ und sein Vater hatte da ja auch mitgekämpft als Pilot und er hätte sich für 100 Euro grad Spielzeugpanzer hier gekauft. Dann Abgang ohne Zugabe und alle sind zufrieden. Ein gefühlsfeinmotorischer Bekannter meinte noch, dass Phil Collins von den Songs, die Daniel Johnton in einem Jahr schreibt, für 20 Jahre Welthits produziert hätte.