Die Löwensenfgas-Spur

Vermisste Massenvernichtungswaffen in Mostrich und Mückenspray gefunden

Vor kurzem überraschte US-Präsident Bush die Welt mit den neuesten Erkenntnissen seiner Geheimdienste. Die bislang unauffindbaren Massenvernichtungswaffen des Irak seien wenige Tage vor Zusammenbruch des Saddam-Regimes in die Hände von Plünderern gefallen. Wüstenwerwölfe und skrupellose Geschäftemacher hätten die Giftdepots des Baath-Bonzen aus Bagdad leer geräumt. Wo aber sind die angeblich immensen Bestände an B- und C-Waffen abgeblieben, wer dealt mit dieser heißen Ware? Unser Reporter machte sich auf Spurensuche im Nachkriegsirak.

Tarquat, die verschlafene Provinzstadt am Unterlauf des Euphrat, ist nicht unbedingt das „Las Vegas des Zweistromlandes“, aber es lebt sich ruhig und recht angenehm in den traditionellen Lehmhäusern der Stadt mit ihren hunderttausend Einwohnern. Abends trifft sich „tout Tarquat“ in Jussuf al-Kasrs Restaurant „Zum hängenden Biergarten“, das für seine Hammel-Spezialitäten weithin berühmt ist. Hammeltopf nach Wildererart, Räuberspieß „Ali Baba“ oder Jussufs legendäre Hammelsuppe mit feinen Kräutern der Provinz sind kulinarische Höhepunkte nach jahrelanger Embargowirtschaft. Jussufs Laden brummt, und seit die US-Army in der örtlichen Hussein-Kaserne ihr Hauptquartier eingerichtet hat, ist auf der Freischankfläche im Schatten der Dattelpalmen selten ein Plätzchen frei. Einzig die allabendliche Mückenplage macht den Gästen schwer zu schaffen. Wie gut, dass Jussuf al-Kasr vor kurzem ein neuartiges Insektenspray auf dem Basar entdeckt hat. Er will es uns zuliebe gleich mal holen und zum Einsatz bringen.

Die Auswirkungen sind verheerend: tränende Augen bei fast allen Gästen, vier amerikanische Soldaten, die sich am lautesten über die Stechmücken beschwert hatten und deren Tisch von Jussuf besonders gründlich eingenebelt wurde, müssen mit Hautverätzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Ein Labortest beseitigt letzte Zweifel – in der Insektenspraydose befand sich ein hoch wirksames Giftgas aus irakischer Produktion, das nur aufgrund der schwachen Dosierung keine größeren Schäden anrichtete.

Ein erster, von der US-Administration lang ersehnter Beweis für die Existenz irakischer Massenvernichtungswaffen war damit zweifelsfrei erbracht. Eilends wurde eine Task Force gebildet, die weitere Anhaltspunkte über den Verbleib und die Vertriebswege der tödlichen Waffen untersuchen soll.

In einer Mottenkugelmanufaktur nahe Tikrit wurden die Spezialisten fündig. Zwei verbeulte Stahlkanister, die im hintersten Winkel unter mottenzerfressenen Schaffellen versteckt waren, enthielten Senfgas extrascharf. Dreisternegeneral David McKiernan, Oberkommandierender der Koalitionsstreitkräfte, misst dem Fund allerhöchste Bedeutung bei. „Wenn diese Kriminellen die riesigen Mengen Gift erst mal in haushaltsübliche Gebinde abgefüllt und in den Handel gebracht haben, sind sie praktisch nicht mehr auffindbar.“

Seit dieser Entdeckung gilt jedes irakische Supermarktregal als potenzielles Chemiewaffen-Depot. Besonders auffällige Insektensprays wie „Saddams Delight“ oder „Moskito-GAU“ werden von US-Soldaten deshalb schon mal vorsorglich aus den Regalen genommen und konfisziert. Übereifrige Giftstoffräumer riegelten sogar einen Supermarkt im Süden Bagdads ab, weil sie in einem harmlosen Glas Löwensenf aus Deutschland eine Senfgas-Granate vermuteten.

Jussuf al-Kasr ist der Zwischenfall in seinem Lokal äußerst peinlich. Mittlerweile setzt er zur Bekämpfung der Mückenplage deshalb wieder konventionelle Waffen ein. An seinem auf Hochtouren laufenden Heizstrahler verschmurgeln die Plagegeister seitdem zu Tausenden. Aber in irgendeinem irakischen „Tante Elif“-Laden tickt immer noch eine Zeitbombe …

RÜDIGER KIND