„Klimapolitik ist Industriepolitik“

INTERVIEW HANNA GERSMANN
UND NICK REIMER

taz: Herr Hennicke, Erneuerbares-Energien-Gesetz, Ökosteuer und jetzt Gastgeber der internationalen Konferenz für erneuerbare Energien – Deutschland rühmt sich, klimapolitischer Vorreiter zu sein. Zu Recht?

Peter Hennicke: Nein. Es gibt eine Faustgröße: Ambitionierte Emissionsminderungsziele – die Deutschland zweifelsfrei hat – müssen zu zwei Dritteln über die Effizienz eingefahren werden. Rot-Grün muss mehr auf Energieeffizienz setzen, also darauf, Energie einzusparen. Da liegt Deutschland weltweit nämlich gerade mal im Mittelfeld.

Warum kümmert sich Rot-Grün zu wenig um diese kostengünstige Variante?

Solarenergie glänzt. Sonnenkraftwerke haben alle modernen und fortschrittlichen Attribute. Und man kann sie einweihen, was für die Symbolik in der Politik wichtig ist. Energie sparen ist dagegen mühsam und nur durch Berechnungen darstellbar.

Diese Regierung ist als ökologischer Erneuerer angetreten. Der Umweltrat hat jüngst aber geurteilt: in der zweiten Legislatur deutlich an Dynamik verloren. Woran liegt das?

Die Politik nimmt noch nicht genügend wahr, dass die ökologische Erneuerung im Energiesektor Innovation par excellence wäre. Sie ruht sich auf dem – durchaus beachtlichen – Erfolg des Erneuerbare-Energien-Gesetzes aus. Zwar spricht sie viel von Zukunftsfähigkeit und Innovation. Dass aber eine solche im Energiesektor große Wettbewerbsvorteile und viele Arbeitsplätze schaffen würde, nimmt sie nicht wirklich zur Kenntnis.

Experten machen das an Wirtschaftsminister Clement fest: Der vertrete nicht die Interessen der Volkswirtschaft, sondern die einzelner Sektoren.

Das ist mir zu stark zugespitzt. Es ist schwierig, in einem von der Kohle dominierten Land wie Nordrhein-Westfalen einen dezentralen Stromsektor auszubauen. Das braucht Zeit.

Die energiepolitischen Konflikte – Emissionshandel, Erneuerbare-Energien-Gesetz – verliefen aber genau an der Schnittstelle von Umweltminister Trittin und Clement.

Die gesamte deutsche Politik vertraut zu sehr darauf, dass der Markt es richten wird. Das ist ein neoliberales Weltbild. Und das kollidiert mit der Forderung nach mehr Effizienz. Der Staat muss klare ökologische Vorgaben machen. Autoherstellern muss etwa gesagt werden, wie viel Benzin ihre Limousinen verbrauchen dürfen. Jedes Jahr werden diese Grenzwerte dann um einen gewissen Prozentsatz abgesenkt. Dänemark hat gezeigt, dass das geht. Japan schreibt nach einem ähnlichem Prinzip Verbrauchswerte für Haushaltsgeräte und Elektronik vor.

Für diese Produkte gibt es aber keinen Markt. Wie können Verbraucher überzeugt werden, etwa den Ladenhüter Drei-Liter-Lupo zu kaufen?

Es geht nicht um „Alibi-Entwicklungen“, die keiner haben will. Damit wird doch nur der schwarze Peter den Kunden zugeschoben, die auf der anderen Seite mit Milliardenaufwand an Werbung überzeugt werden, Luxusfahrzeuge mit überholten Effizienzstandards zu erstehen. Der Staat muss den Mut haben, die Standards flächendeckend zu fordern. BMW, Daimler oder Volkswagen muss vorgeschrieben werden, wie hoch der Durchschnittsverbrauch aller verkauften Autos sein darf.

Warum wagen weder Umweltminister Trittin noch Verkehrsminister Stolpe, solche Vorgaben zu machen?

Mautgebühren, Tempolimits, Kfz-Steuern, Benzinpreis – die Mobilitätsdebatte in Deutschland ist hoch neurotisch und ideologisiert. Nur: Wird der Verkehr nicht einbezogen, sind alle Hoffnungen auf eine Reduktion der Treibhausgase um 80 Prozent bis 2050, wie sie die Energie-Enquetekommission des Bundestages fordert, obsolet.

Auf deutsche Einladung tagt in Bonn derzeit die Internationale Energie Konferenz renewables 2004. Seit 1979 folgt eine Klimakonferenz der nächsten. Bringt diese Klimadiplomatie überhaupt etwas?

Schwer zu sagen, was passiert wäre, wenn es sie nicht gegeben hätte. Es gibt aber einen Geburtsfehler der Klimadiplomatie. Wir sprechen nur über die Opfer, die wir bringen müssen. Aber nie darüber, welche neuen ökonomisch attraktiven Märkte notwendig sind. In Wahrheit ist Klimapolitik kluge Industriepolitik.

Forscher wie Sie fordern radikale Schnitte, die Politik müsse dringend handeln. Dann trifft sich die Staatengemeinschaft und beschließt den kleinsten gemeinsamen Nenner – wenn überhaupt. Was soll in Bonn anders sein?

Ich erwarte ein Signal vor allem an die Entwicklungsländer, dass die Erneuerbaren eine riesige Chance sind.

Die haben zum Teil aber den Eindruck, Bundeskanzler Gerhard Schröder geht es nicht um Klimapolitik, sondern darum, deutsche Technik zu verkaufen.

Das ist doch ein viel zu starkes Zerrbild. Was, bitte schön, spricht gegen den Export vernünftiger Produkte?

Es geht doch aber darum, ob Länder, die zur Entwicklung solcher Technik noch nicht fähig sind, auf Dauer von den Industriestaaten abhängig sind.

In Indien oder Brasilien stehen doch schon heute nicht mehr nur alte Mühlen und Kraftwerke. Die Länder werden völlig unterschätzt. Über kurz oder lang werden die Asiaten also selbst ein effizientes Kohlekraftwerk bauen können. Gibt es den Nord-Süd-Transfer nicht, wird sich der Süd-Süd-Transfer entwickeln.

Rot-Grün fördert über seine Hausbank, die Kreditanstalt für Wiederaufbau, Fossilien des Klimaschutzes. Wie passt das ins Bild?

Aus meiner Sicht spricht nichts gegen ein hocheffizientes Kohlekraftwerk etwa in China, wo die Kohle ohnehin verbrannt wird. Allerdings dürfen so nicht Strukturen zementiert werden, so dass die Erneuerbaren keine Chance haben. Doch überlegt mittlerweile ja selbst die Weltbank, die Förderung von Bergbau und Öl zurückzufahren …

noch sieht es aber nicht danach aus, dass die Weltbank tatsächlich umschwenkt.

Ich kann jede Form der Ungeduld verstehen, doch vor zehn Jahren hätte allein die Vorstellung einer solchen Debatte Kopfschütteln ausgelöst.

Die Frage ist, wer schneller ist: Weltbank und Klimadiplomatie oder der Klimawandel?

Es gelingt uns nicht mehr, den Klimawandel zu stoppen, so wie wir es auf den ersten Klimakonferenzen noch gedacht haben. Was die Menschheit noch erreichen kann!, ist, dass uns abrupte Änderungen, große Ausschläge erspart bleiben. Aber dazu sind mehr Instrumentarien als etwa das Kioto-Protokoll notwendig. Und das ist ja noch nicht einmal in Kraft. Vielleicht gelingt eine Trendwende, wenn – wie von Präsident Wladimir Putin angekündigt – Russland das Kioto-Protokoll unterzeichnet.

Wandeln sich Regierungen und Weltbank zu langsam?

Sie sind zu sehr Experten, entscheiden in kleinen Zirkeln, verlieren die großen Zusammenhänge und berücksichtigen zu viele Partikularinteressen aus der Wirtschaft. Man kann sagen: Energie ist ein nicht demokratisch kontrollierter Bereich. Wir werden die Klimaprobleme nur in den Griff bekommen, wenn sich das ändert.

Brauchen wir womöglich die Ökodiktatur, um die Lebensgrundlagen zu retten?

Nein, ich ziehe den umgekehrten Schluss. In der Bundesrepublik müssen wir den veralteten Kraftwerkspark in den nächsten zwanzig Jahren ohnehin erneuern. Wir haben die einmalige Chance, den Energiesektor nicht nur technisch zu dezentralisieren, sondern auch die Akteursstruktur zu demokratisieren …

wogegen Eon und RWE Abwehrschlachten führen.

Natürlich, aber das Primat von Politik wird anerkannt. Die Regierung muss den Konzernen klare Richtlinien vorgeben, anstatt sich von ihnen die Gesetze machen zu lassen. Selbst die Großen werden dann mithelfen, den Strukturwandel zu vollziehen.

Warum sollten sie ihre Marktmacht demontieren?

Freiwillig macht das niemand. Wenn der Staat aber Rahmenbedingungen vorgibt, die garantieren, dass man mit Windkraft mehr Geld verdient als mit Kohle, werden die Konzerne sicher eine gewisse Freiwilligkeit beweisen.

Das Pentagon hat jüngst gewarnt, der Klimawandel sei eine größere Bedrohung als der Terrorismus. Was wird das ändern?

Ökologische Katastrophen können handfeste Krisen verursachen, die nicht über Festungswälle oder Waffen an den Grenzen der reichen Länder abgeschirmt werden können. Deshalb ist das eine realistische Militärplanung der USA. Nur: Sie sind selbst Hauptverursacher.

Und sie sind die Hauptbedrohten – zumindest in „The Day After Tomorrow“. Bewirkt ein Film mehr als alle Klimakonferenzen?

Zumindest wird er Anstöße geben.