Gut gedacht ist halb gefahren

Über die Landesgrenzen hinweg erhält Berlin Lob für seinen neuen Stadtentwicklungsplan (StEP) Verkehr. Er ist die Mobilitätsstrategie für die Stadt von morgen. Die taz erklärt, worum es geht – Teil I

VON FRIEDEMANN KUNST

Mit dem StEP Verkehr beginne ein „neues Verkehrszeitalter“, kündigte der Senat vollmundig vor einem Jahr an. Auf ein Nachwendejahrzehnt der Restauration von Verkehrsinfrastruktur soll jetzt ein Jahrzehnt der „intelligenten Nutzung“ folgen. Experten, Planer und Kritiker diskutieren an dieser Stelle in den kommenden Wochen, immer freitags, über die Zukunft der Berliner Verkehrspolitik.

Wie über das Thema Schule und Bildung wird auch über Verkehrspolitik heftig gestritten. Denn nahezu alle Berlinerinnen und Berliner sind unterwegs – ob per Auto, Fahrrad, BVG oder zu Fuß. Allen gemeinsam ist, dass die zurückgelegten Wege jedes Jahr ein bisschen länger werden und damit für alle die Belastungen durch Lärm, schlechte Luft, Staus und steigende Verkehrskosten zunehmen. Kein Wunder, dass jede Interessengruppe Lösungen vorschlägt. Nur einheitliche Vorstellungen, wie eine zukunftsfähige Verkehrspolitik aussehen muss, gibt es nicht. Parteienübergreifend war es in Berlin lange Zeit üblich, die anspruchsvollsten Ziele zu formulieren – wie zum Beispiel den so genannten „Modal Split 80 : 20“, wonach 80 Prozent des Innenstadtverkehrs mit öffentlichen Verkehrsmitteln und 20 Prozent mit dem Auto zurückgelegt werden sollten – und dann zum verkehrspolitischen Alltag überzugehen. Die Ziele einer Entlastung der Innenstadt vom Autoverkehr und einer Steigerung der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel wurden verfehlt, was aber fast ohne Beachtung blieb.

Aber in jeder Krise steckt eine Chance: Die Finanzkrise zwingt uns, verschärft über Kosten und Nutzen von öffentlichen Ausgaben nachzudenken – was nun auch für die Verkehrspolitik hilfreich ist. Seit Mitte der 90er-Jahre schon sollte eine verkehrspolitische Strategie die städtebauliche Entwicklung begleiten. Sie blieb Absichtserklärung. Seit Juli 2003 gibt es nun „mobil2010“, eben den „StEP Verkehr“.

Verkehrspolitischer Alltag hieß nach der Wende: Infrastrukturpolitik, also Modernisierung, Lückenschlüsse, Neubau von Schienenwegen und Straßen. Das war notwendig und die Leistungen sind beachtlich. Wenn die Projekte in den kommenden Jahren abgeschlossen sein werden, wird Berlin eines der modernsten Schienen- und Straßennetze europäischer Metropolen besitzen.

Können wir damit zufrieden sein? Gewiss nicht. Die wichtigsten heutigen und künftigen Probleme des Verkehrs im Metropolenraum Berlin bestehen in der Dynamik des Verkehrswachstums, im Personen- und im Güterverkehr, verbunden mit Lärm, schlechter Luft und Klimaschädigung. In den äußeren östlichen Stadträumen sind die Mobilitätsbedingungen nach wie vor schlechter als im Westen, und auch manche Fernverbindung lässt noch viel zu wünschen übrig. Unklar ist angesichts des Berliner Schuldenberges die künftige Finanzierbarkeit der Verkehrsinfrastruktur.

Bei der verkehrspolitischen Zukunftsplanung ist der Senat mit einer Reihe von prinzipiellen Problemen konfrontiert: Erstens bestehen Zielkonflikte. So sprechen beispielsweise sozial- und wirtschaftspolitische Gründe zwar für eine Verbesserung der Infrastruktur in den östlichen Stadträumen. Eine zusätzliche Straße in Köpenick oder eine Regionalbahnlinie durch die Innenstadt erhöhen einerseits die Netzkapazität und die Reisegeschwindigkeit, unterstützen andererseits aber das Verkehrswachstum. Hieraus folgt, dass die Optimierung nur eines Zieles problematisch ist. Solche Zielkonflikte müssen von den Planern künftig offengelegt werden, damit Entscheidungen transparent und diskutierbar werden.

Zweitens darf Verkehrspolitik nicht länger nur den bereits entstandenen Verkehr organisieren, sondern muss als „Mobilitätspolitik“ die Bedingungen der Mobilität beeinflussen. Schwierig ist hierbei, dass die Verantwortung für das Angebot an Wohnungen, Arbeitsplätzen, Freizeiteinrichtungen usw. in anderen Politikbereichen liegt. So sind der anhaltende Exodus der Mittelschichtbevölkerung aus der Innenstadt an den Stadtrand sowie immer größere Supermärkte und Kinozentren eine wesentliche Ursache für immer längere Wege und damit für immer mehr Verkehr. Mobilitätspolitik kann also nur mit einem integrierten Ansatz wirksam werden.

Drittens findet Verkehrspolitik nicht isoliert in Berlin statt, sondern wird von rechtlichen Rahmenbedingungen wie der Steuerpolitik, aber auch von Regeln der Infrastrukturkostenrechnung gestaltet. Diese beeinflussen die Verkehrskosten und damit die Entscheidung für Auto, BVG oder Fahrrad. Insbesondere die Pendlerpauschale und die Eigenheimzulage subventionieren Umzug an den Stadtrand, Zersiedelung und lange Anfahrtswege. Die Möglichkeiten der Berliner Verkehrspolitik zur Änderung dieser Regeln sind freilich begrenzt.

Was kann der StEP nun leisten? Dass künftig über Verkehrspolitik sachlicher diskutiert werden kann. Der StEP präzisiert die Ziele und die nötigen Handlungsstrategien, wie zum Beispiel die Stärkung des ÖPNV, des Rad- und Fußverkehrs, die Erhöhung der Verkehrssicherheit und die Entlastung der Innenstadt, und er erklärt die wichtigsten Wirkungszusammenhänge. Die in ihm enthaltenen konkreten Maßnahmen sind insoweit realistisch, als sie mit dem mittelfristig verfügbaren Finanzvolumen abgeglichen sind.

Am wichtigsten ist allerdings, dass sich die Berlinerinnen und Berliner Gedanken über ihr Verkehrsverhalten machen müssen, wenn die vereinbarten StEP-Ziele für zukunftsfähigen Verkehr besser erreicht werden sollen. Anstöße dazu dürften sich allerdings nicht in Restriktionen wie bei Tempo und Parkraum erschöpfen. Besser sind Anreize und Überzeugung.

Auch auf der Ausgabenseite gelten neue Prioritäten. So wird die Bestandserhaltung und die bessere Nutzung der vorhandenen Infrastruktur Vorrang haben vor Erweiterungen. Sollen dennoch eine neue Straße oder ein neuer Schienenweg gebaut werden, müssen künftig hohe Kosten- und Zieleffizienz zwingend nachgewiesen werden. Für den Verkehr per Fahrrad und zu Fuß wird es künftig hingegen mehr Geld und Platz geben.

Was kann der StEP noch leisten? Er bietet eine klare Analyse der Realitäten. Die schnelle Verkehrswende in der Stadt ist mit dem Stadtentwicklungsplan nicht vorgesehen. Wohl aber eine stadt- und umweltgerechtere Mobilität. Der StEP ist ein verkehrspolitisches Versprechen und zeigt wirksame Wege zur Veränderung. Seine Wirkung und sein Erfolg entstehen aber nur unter der Voraussetzung, dass die in ihm formulierten Strategien über einen längeren Zeitraum hinweg auch umgesetzt werden. Sein integrativer Ansatz lebt zudem von der Bereitschaft vieler, sich an den vereinbarten Zielen und Strategien zu orientieren. Dies war der wichtigste Grund, weshalb der Stadtentwicklungsplan im ständigen Dialog mit den verkehrspolitischen Akteuren an einem runden Tisch erarbeitet wurde. So könnte sich im Verlauf der Jahre in der Berliner Verkehrsrealität viel mehr ändern, als Skeptiker der Senatspolitik heute zutrauen – aber auch weniger, als manche Vertreter automobiler Interessen an die Wand malen.

Der Autor ist verantwortlich für die Grundsatzangelegenheiten der Verkehrspolitik bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Nächsten Freitag lesen Sie die Kritik von Martin Gegner am Demokratiedefizit des StEP: „Planen ist gut – Realisieren ist besser“