vor bolle auf der flucht von WIGLAF DROSTE
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Wer einmal die Berliner Provinzfernsehsendung „Abendschau“ durchduldete, ahnt, wo er lebt in Berlin: in einer Mischung aus Bad Oeynhausen, Haßloch, Moers und Kyritz an der Knatter. Zwei Straßenbahnen kollidieren nahezu folgenlos? Am Flughafen Tegel verspäten sich Gepäckstücke? In Schmargendorf bricht ein Wasserrohr? All das ist selbstverständlich hochinteressant und wird in der „Abendschau“ entsprechend breitgetreten.

So wächst die Sehnsucht nach dem vergleichsweise prickelnden Landleben. Sie wird noch gesteigert durch den Auffund der mecklenburgischen „Maränen-Saga“: „In der Nähe der bewaldeten Ufer des breiten Luzins, auf dem Amtswerder des hübschen Fleckens Feldberg, erhob sich einst stolz und groß der Sitz eines Drosten, um dessen bildschöne Tochter Freier in Scharen warben. Unter den letzteren war ein stattlicher Mann, der einen verunstalteten Fuß hatte, weshalb ihm die junge Mecklenburgerin, ungeachtet seiner sonstigen Vorzüge, einen Korb gab. Dennoch wollte derselbe durchaus zum Ziele gelangen. Er schlug dem Drosten, der als Leckermaul und Feinschmecker bekannt war, bei einem schwelgerischen Mahl vor, wessen Küche das schmackhafteste Essen liefern könne, solle als Preis die Hand seiner schönen Tochter erhalten. Dieser Freier aber war der Leibhaftige selbst, der, angelockt von den Reizen des schönen Menschenkindes, hier weilte und unerkannt gar arg sein Wesen trieb. In der darauffolgenden Nacht zog er nun nach einem fernen See, irgendwo im Norden, und holte sich Maränen. Auf der weiten Reise war jedoch sein Fischbeutel durchgerieben, und so fielen, gerade als er über den Breiten Luzin flog, eine Anzahl der Maränen in das schöne klare Wasser. Der Leibhaftige war jedoch in der Kochkunst nicht sehr bewandert, daher kochte er eine keineswegs wohlschmeckende Speise daraus. Der Drost war indessen von seinen Leuten besser bedient, denn gleich am nächsten Morgen fing sein Fischer einige von den verlorenen Maränen, welche so zubereitet und geräuchert wurden, daß dem betrogenen Teufel seine eigenen Fische als das schmackhafteste Gericht der Welt vorgesetzt werden konnten. Der arme Teufel hatte seine Wette verloren, und die übriggebliebenen Maränen vermehrten sich im breiten Luzin und verpflanzten sich durch die Kanäle auch in die übrigen Seen der Umgebung.“

Rasch ist das gelesen und wird ein Wagen gechartert. Bald liegt Berlin uns im Rücken, da liegt es gut. Über Feldberg hängen Caspar-David-Friedrich-Wolken, im wenige Kilometer entfernten Carwitzer Fallada-Haus allerdings führt eine Concièrge-Vettel ein ebenso trübes wie rohes Regiment. Dort Besucher sein zu wollen, ist offensichtlich ein Delikt, das mit Angehausmeistertwerden scharf geahndet wird: „Manne, hier sind Gäste, kommste mal?!“, schrebbelt die kurzhaardauergewellte, postmenopausische Schrappe drohend die Treppe hinauf. Manne kommt, polternd und massig, damit das akkurat abgestaubte Gedenkstättenmobiliar nicht unter unseren Blicken zerbröseln kann.

Gastgeber sein gehörte nicht unbedingt zu den Dingen des Lebens, die man in der DDR gut lernen konnte. Nicht selten merkt man das noch heute. Wir winken nicht zum schnellen Abschied.