letzte ruhe vor dem sturm (teil 3)
: Fieber steigt, Spieler brennen

Die deutschen Fußballer und ihr Teamchef versuchen, das 2:0 gegen die Schweiz an der richtigen Stelle der Selbstsicherheitsskala einzuordnen

Natürlich war Rudi Völler froh. Über einen „starken Gegner“ in der heißen Phase der EM-Vorbereitung. Und natürlich war er „hochzufrieden“, 2:0 gewonnen zu haben gegen die Schweiz. Und selbstverständlich tun einem Stürmer Tore gut. Da dem anderen EM-Teilnehmer Schweiz von Deutschlands Teamchef mit mehr oder weniger Respekt begegnet wurde, könnte man sich etwas einbilden auf den Erfolg von Basel. Hinterher befleißigten sich jedoch alle, diesen Eindruck erst gar nicht zu erwecken.

Daran tut man gut. Und so zogen sich die meisten auf die Freundschaftsspielrhetorik zurück: „Nicht überbewerten“, riet Fredi Bobic, der mit Ischiasbeschwerden lediglich Zuschauer war; „darauf lässt sich aufbauen“, fachsimpelte der verblüffend fehlerfreie Oliver Kahn. Und der Teamchef fasste die zurückliegenden Wochen nach Bukarest zusammen: „Wir können das 1:5 und die beiden Siege gegen Malta und die Schweiz einordnen.“

Immerhin: Es gab im St.-Jakob-Park so etwas wie das unvermittelte Auftauchen der deutschen Stürmer Kevin Kuranyi und Miroslav Klose aus einer tiefen Versenkung.

Eine Stunde musste man sich ernsthafte Sorgen machen, ob Michael Ballack nun sämtliche deutsche Tore in Portugal im Alleingang zu besorgen hat, als sich der Schweizer Verteidiger Bernt Haas nach 62 Minuten einen stümperhaften Fehler leistete. Klose legte Kuranyi das 0:1 auf, Damit war bei den bis dahin schwungvoll und von Hakan Yakin („Schon ein Unentschieden gegen die Deutschen wäre eine Enttäuschung“) angetriebenen Eidgenossen von einem auf den anderen Moment der Ofen aus.

Gestern lamentierte der Blick auf dem Schweizer Boulevard über die verpasste Möglichkeit, nach 1956 erstmals wieder gegen den hochnäsigen Lieblingsnachbar ein Fußballspiel zu gewinnen: „Halbe Chance, ganzes Tor.“ Fredi Bobic fand für dieses Phänomen eine schlüssige Formel: „Wir waren abgezockter und haben den ersten groben Fehler gnadenlos bestraft – wie es eben auf diesem Niveau sein muss.“ Die Schweizer, die in ihrem ersten Vorrundenspiel am 13. Juni gegen Kroatien quasi schon einem gruppeninternen Finale entgegensteuern – danach folgen England und Frankreich – wollten in der Niederlage kein Drama sehen: „Aus unseren Chancen hätten wir ein schönes 2:2 machen können“, sagte Jakob „Köbi“ Kuhn, Nationaltrainer und mit seinen 60 Jahren so etwas wie der altersmilde gute Onkel des Schweizer Fußballs, „aber umbringen wird uns diese Niederlage nicht.“

Was den taktisch gut organisierten und balltechnisch sicheren Schweizern abgeht, sah Hakan Yakin beim Gegner: „Wenn es darauf ankommt, sind die Deutschen da.“ Mit dieser Art Effizienz, man erinnert sich gut, legte die DFB-Auswahl bei der WM in Asien einen guten Teil der Strecke ihres unverhofften Höhenflugs zurück. „Das gibt Selbstvertauen“, sagte Kevin Kuranyi, der mit dem Kopf auch noch seine vierten Treffer im zwölften Länderspiel erzielte. „Kevin weiß manchmal gar nicht, welches Potenzial in ihm steckt“, sag der Ex-Stürmer Völler über den Stürmer der Zukunft.

Also werden Völler und Bundestrainer Michael Skibbe ihre Sorgenkinder aus der Abteilung Angriff weiter unentwegt aufs Tor schießen lassen. „Wir haben den Abschluss sehr viel trainiert, und das hat mir sehr viel geholfen“, erklärte Kuranyi, wobei man sich fragt, was er die ganze Saison über in Stuttgart so unter der Woche getrieben hat. Selbstlos fügte Kuranyi am Tag nach Basel an: „Ich hoffe, dass am Sonntag gegen Ungarn auch die anderen Stürmer treffen, damit sie Selbstbewusstsein bekommen.“

Für den Teamchef steht jedenfalls jetzt schon fest, dass sich die zwölf Tage im beschaulichen Elztäler Quartier gelohnt haben. Das ist – Obacht! – doppelt so lang wie vor zwei Jahren. „Das Fieber steigt“, sagt Völler, „die Spieler brennen“. Na, dann.

CHRISTOPH KIESLICH