„Den Führungsanspruch verloren“

Der Berliner Gewerkschaftsforscher Hans-Peter Müller über die Handlungsfähigkeit der IG-Metall-Führung

taz: Herr Müller, es gab bei der Krisensitzung keine Personalentscheidung, die Lager sind gespalten. Ist die IG Metall noch handlungsfähig?

Hans-Peter Müller: Momentan nicht. Es gibt nur noch Verhinderungsmehrheiten, aber keine Gestaltungsmehrheiten mehr. Mittelfristig muss diese Blockade überwunden werden, sonst käme es der Selbstabdankung dieser Führung gleich. Die Organisation steht atemlos und erstaunt daneben, was die Führungsfiguren da auf offener Bühne anstellen.

Ist das Problem der IG Metall die Diskrepanz zwischen Führung und den Vertretern in den Betrieben?

Im Osten gibt es betriebliche Bündnisse zwischen Belegschaften und Management. Und die Funktionäre haben Konzepte angeboten, die von diesen Belegschaften schlichtweg ausgeschlagen wurden. Die Funktionäre in Frankfurt haben ihren Führungsanspruch gegenüber diesen Belegschaften verloren – das ist das Kernproblem im Osten.

Nur im Osten, oder bröckelt dieser Führungsanspruch auch im Westen?

Im Osten ist das Problem jetzt akut geworden. In Westdeutschland haben die Betriebe noch mehr wirtschaftlichen Spielraum, um Lösungen auszuhandeln, die nicht diametral zu den Intentionen der Führung stehen. Aber wenn die Wirtschaftskrise andauert, kann das Ostproblem auf den Westen übergreifen.

Ist die IG Metall in ihrem momentanen Zustand noch ein ernst zu nehmender Ansprechpartner für die Parteien?

In diesem Zustand schaltet sich die IG Metall als ernst zu nehmender politischer Faktor aus der Reformdebatte in Deutschland selbst aus. Das kann sie sich eigentlich nicht leisten, aber sie tut es trotzdem. Sie nimmt diese Wirkung geradezu hin. Aber dieser grundlegende Dissens über die Positionierung existiert schon länger. Schon bei der Zerstörung des Bündnisses für Arbeit und beim Hartz-Konzept war die IG Metall auf Gegenmacht- und Konfliktkurs gepolt. Sie hat sich schon damals aus der Reformdebatte verabschiedet. Und führt das fort, indem sie Gespräche mit Kanzler Schröder abgesagt und die Gesprächsfäden zur SPD gekappt hat.

Wie schaltet man diesen Hebel wieder um, wenn mit Jürgen Peters gerade der Protagonist dieser Verweigerungshaltung Vorsitzender wird?

Dann kann man den Hebel gar nicht umschalten. Erst wenn sich der Niederlage im Osten eine Kette von Desastern anschließt, wird auch Peters seinen Weg nicht mehr durchziehen können.

Es gibt immer wieder Gerüchte um eine mögliche Spaltung der IG Metall. Ist das realistisch?

Nein, ich halte das schlichtweg für Zorn etwa der Automobilindustrie auf die Frankfurter Führung. In der Hoffnung, dass wieder Vernunft einkehrt.

INTERVIEW: THILO KNOTT