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: Harz, Eifel, Rodgau – Die neuen Urlaubsziele sind traurig wie der Sommer selbst

Unterforderungs-Burnout

Es ist eine seltsame Zeit. Jetzt stünde eigentlich Hochsommer auf dem Programm, wären Badefreuden und Hitzewellen angebracht. Stattdessen herrscht eine merkwürdig dumpfe Stimmung vor, die keinerlei Sommergefühl aufkommen lässt.

Wenn kein Sommergefühl aufkommt, haben es natürlich auch die Sommergefühlsfolgeerscheinungen schwer. Zum Beispiel ist parallel zum Fehlen jeglichen Sommergefühls jetzt auch das Sommerloch spurlos verschwunden. Kein Sommerhit weht uns aus offenen Fenstern und Autos entgegen. Auch die beliebten Sommerthemen der so genannten Saure-Gurken-Zeit bleiben dieses Jahr aus.

Der Kokainskandal konnte nicht recht ausreifen, und die neue Völkerfeindschaft Italien – Deutschland wird es auch nicht zum echten Sommerthema bringen. Auch eine Sommerdepression kann sich ohne vorangegangenes Sommergefühl nicht entwickeln. Rundfunk und TV bringen nur seltsame Nachrichten von nicht verstopften Straßen, fehlenden Staus, ausbleibender Reisewelle. Das Hierbleiben ist dieses Jahr nämlich der neue Trend.

Dabei gibt es mehrere Arten der Urlaubsverweigerung. Erstens ist es schick, sich ärmer zu machen, als man ist: Gutsituierte Lebemänner verdrehen die Augen: „Wo denkst du hin? Das kann ich mir nicht leisten.“ Die zweite Möglichkeit: Man ist selbst zu interessant, um Urlaub machen zu können: „Um Gottes willen: In den Süden fahren, den ganzen Tag am Strand liegen, da würde ich mich ja zu Tode langweilen“.

Die dritte Variante der Urlaubsverweigerung sucht Kompromisse in einer neuen Bescheidenheit: „Wir fahren nur ein paar Tage an die Ostsee“ oder „zu den Eltern nach Freiburg“.

Inzwischen versucht man schon, sich an Bescheidenheit regelrecht zu übertrumpfen, sucht sich die denkbar unattraktivsten Urlaubsorte – Polen, Harz, Eifel, Rodgau – aus und verschiebt dann aus Angst davor, an diesen Orten tatsächlich Zeit verbringen zu müssen, die Abfahrt immer weiter nach hinten. Bei dieser massenhaften Gleichgültigkeit der Fernreise, dem Pauschalurlaub und der Städtefahrt gegenüber, könnte man natürlich vermuten, dass die vorhergegangene sprichwörtliche Urlaubswut der Berliner kein natürliches, sondern ein oktroyiertes Bedürfnis war.

Hinzu kommt natürlich die Tatsache, dass kaum jemand mehr richtig arbeitet oder sonst irgendwie anstrengende Tätigkeiten verrichtet, sodass es für die Mehrzahl der Menschen keinen Grund mehr gibt, sich zu erholen.

So lag auch die beliebte Zeitschrift Stern grandios daneben, als man dort letzte Woche noch die Meinung vertrat, wir müssten unser Leben entschleunigen. Traurige Beispiele von Computerfachleuten und Managerinnen wurden angeführt, die zur Entschleunigung ihres Lebens nun wochenlang an einem Weiher in Bayern sitzen oder zu Fuß neben einem Pferd durch den Thüringer Wald laufen müssen. Dabei bräuchten doch die meisten Menschen eher eine Beschleunigung ihres Lebens, ein bisschen Aufregung, Nervenkitzel. Statt Entschleunigungskursen sollten da eher Erlebnisreisen für unterforderte Unterbeschäftige angeboten werden, Freizeit- bzw. Arbeitsparks, in denen echte Beschäftigung, Stress und Zeitmangel simuliert werden.

So könnte dann im Urlaub durch Arbeit die neue Volkskrankheit des „Unterforderungs-Burnouts“ therapiert werden. Aber für solch fortschrittliche Ideen ist die Zeit wohl noch nicht reif. So bleibt uns für den Juli nur das Warten auf das nächste Azorenhoch und die Hoffnung auf die Rückkehr des Sommergefühls.

CHRISTIANE RÖSINGER