Schuld war nur die Pille

Berlin als Mythos: Seit seiner ersten Love Parade wollte der Kanadier dazugehören – heute ist DJ Tiga einer ihrer Stars. Ein Gespräch über Ecstasy, Robbie Williams und einen Sack voll Geld

Interview ULF LIPPITZ

taz: Erst einmal möchte ich wissen, ob du mit den Electro-Sounds Berlin vertraut bist.

DJ Tiga: Klar. Märtini Brös sind fantastisch. Ich habe sie ja für mein Label in Kanada lizensiert. 2raumwohnung oder Mitte Karaoke sind auch klasse.

Warst du hier schon mal während einer Love Parade?

Natürlich. Als ich sehr jung war, kam ich 1992 das erste Mal zur Love Parade her. Das war wie ein mythisches Ereignis – wie das erste Mal, wenn man eine Ecstasy-Pille schluckt. Seitdem hat Berlin für mich einen symbolischen Charakter. Als ich Jahre später im E-Werk auflegen durfte, kam das einer triumphalen Rückkehr gleich. Ich hatte geträumt dazuzugehören – und plötzlich war ich mittendrin.

Deine diesjährige „DJ Kicks“-Platte klang auch sehr nach Berlin. Hattest du einen bestimmten Club vor Augen?

Ja, das Cookies. Wirklich. Es ist nicht Techno, es ist nicht House, irgendwie offen – und die Leute sind cool drauf, ein bisschen dark.

Vielleicht weil sie zugekokst sind?

Äh, keine Ahnung. Ich habe nie Koks genommen und merke das den Leuten deshalb nicht an.

Aber du benutzt Drogen, wie du gesagt hast. Sind sie ein Katalysator für Clubmusik?

Ich denke schon. Aber sie sind nicht zwingend notwendig. Es hängt von den Personen ab. Ich führe seit Jahren eine große Debatte mit meinem Freund Jori Hulkonnen darüber. Er ist auch DJ und hat noch nie Drogen genommen. Ich sage immer nur: Wie kannst du nicht? Ecstasy macht so einen großen Teil der Clubkultur aus. Die Droge war einer der Gründe, warum die ganze Bewegung in einen globalen Markt katapultiert wurde. Ich meine, ich möchte nicht wie ein dummer Raver klingen, aber Ecstasy hat mein Leben ganz sicher verändert.

Wie?

Na ja, Menschen wie ich, die seit zehn Jahren im Musikgeschäft sind, hatten bestimmt einmal die eine Nacht, in der die Pille alles verändert hat.

Ändert es deine musikalische Aufnahmefähigkeit?

Nein, das tut Acid oder Gras. Dann hört man entweder guten Trance oder düstere Musik. Nein, ich glaube, jeder trägt eine Barriere in seinem Kopf mit sich herum – und Ecstasy hilft sie niederzubrechen. Wir reden hier über Dance Musik, eine sehr ursprüngliche Sache. Stell dir das mal bitte ohne Musik vor! Würde das nicht komisch aussehen, wie alle sich bewegen und dabei nur schwitzen? Was ich daran schätze, ist die egalisierende Wirkung: Das Ego verschwindet. Man lässt sich gehen.

Deine Musik tendiert in Richtung Electro Clash. Manche glauben, dieser Musik könnte in den USA der Durchbruch gelingen, weil sie den namenlosen DJ durch Gesichter und Rockstar-Posen ersetzt.

Electro Clash, so so. Im Moment denkt jeder, das sei eine separate Bewegung, aber in zwei Jahren wird man es einfach unter Techno subsumieren. Klar tauchen plötzlich Gesichter in der Dance Musik auf, die eigentlich vom Rock stammen. Aber letztendlich kommt es darauf an, ob die Melodien gut sind. Und selbst wenn sie gut sind, diese Musik ist trotz allem noch sehr alternativ, sehr neu und bietet nicht viel Identifikationspotenzial – wenigstens nicht in den Staaten.

Kann Robbie Williams den Amerikanern dieses Potenzial bieten?

Nein, er spielt zu sehr den Clown. Sein Humor ist zu ironisch. Amerika ist schlicht dumm. Dort rafft man den Witz nicht. Wir reden hier von einem Land, das Kid Rock als Popstar hervorgebracht hat – jemand, der sagt: Hey, ich habe meine Waffen, meine Meinung und meinen Truck! Es gibt nur eine Sache, die Amerika und niemand anderes hat. HipHop. Darin sind sie wahnsinnig gut.

Du planst ein Soloalbum zu veröffentlichen. Gibt es eigentlich so etwas wie ein klassisches Techno-DJ-Album?

Schwierige Frage. Es gibt Alben, die aus der Kultur entstanden sind. Ich denke da an KLF. Aber ein Album von einem DJ, das etwas bewegt hat – nein, das gibt es noch nicht.

Warum nicht?

DJs sind an eine bestimmte Menge Arbeit gewohnt, an sich wiederholende Muster: Man spielt die Platten, die Leute rasten aus, man wird bezahlt, man geht nach Hause. Das ist sehr mittelbar. Dasselbe passiert mit Remixen. Ich will jetzt nicht die Katze aus dem Sack lassen, aber DJing ist nicht superschwer. Man benötigt Geschicklichkeit, aber es ist nichts Persönliches. Es handelt sich letztlich um die Musik anderer Leute. Man ist nur der Artdirector.

Also ein Mangel an Kreativität?

Ganz klar gibt es den. Ich bin kein Musiker, kann kein Klavier spielen. Vielleicht fällt mir eine nette Melodie auf dem Keyboard ein, aber das ist verdammter Witz im Vergleich zu jemandem, der auf dem Klavier komponiert! Ich bin und werde nie Prince sein. Um ein Album zu machen, muss man sich Zeit nehmen. Die meisten tun das nicht. Sie machen weiter ihr schnelles Geld. Zwei Stunden Platten auflegen, und man reicht dir einen dicken Sack mit Geld.

Das passiert nicht im normalen Leben. Um eine Platte herauszubringen, musst du nicht die Möglichkeit, sondern das Bedürfnis haben, etwas mitzuteilen. Das kann man nicht vortäuschen.

DJ Tiga spielt morgen ab 23 Uhr im Polar.tv, Heidestr. 73, Tiergarten