Ein vorhersehbarer Absturz

Eine Untersuchungskommission meint, das Auseinanderbrechen der US-Raumfähre Columbia hätte vermieden werden können. Nasa ignorierte Warnungen von Technikern und Ingenieuren. Grundlegende Änderung beim Management gefordert

Die nächsten Shuttle-Flüge werden die sichersten seit langem sein“

von KENO VERSECK

Die „Columbia“ drehte gerade ihre letzten Runden um die Erde, als Nasa-Obere die Raumfähre noch in einem „exzellenten Zustand“ wähnten. Das Stück Isolierschaum einer Antriebsrakete, das beim Start auf die Unterseite der Columbia geprallt war, habe keinen ernsthaften Schaden angerichtet, der Zwischenfall sei nicht der Rede wert, ließ die Nasa die Öffentlichkeit und auch die Besatzung der Columbia wissen. In den unteren Etagen hatten Techniker und Ingenieure der US-Raumfahrtagentur derweil in einer regen E-Mail-Diskussion längst Katastrophenszenarios entworfen. Bei ihren Vorgesetzten kamen die Warnungen entweder nicht an oder wurden nicht ernst genommen.

In einer E-Mail an Kollegen äußerte sich der Ingenieur John Kowal besorgt über ein „falsches Gefühl von Sicherheit“. Jeffrey Kling, ein Nasa-Techniker, spekulierte darüber, was passieren würde, wenn das Stück Isolierschaum einen Riss in die Unterseite der Raumfähre geschlagen habe. „Wenn heißes Plasma in den Fahrgestellschacht geraten würde, könnte dies die Temperaturen im Fahrgestell und den Reifendruck erhöhen“, schrieb Kling am 31. Januar in einer E-Mail, einen Tag vor dem Columbia-Unglück. Die Raumfähre müsse dann vermutlich eine Bauchlandung vollführen, notfalls sollten die Astronauten an Fallschirmen abspringen.

Ein anderer Ingenieur, Robert Daugherty, hatte vorgeschlagen, einen Columbia-Astronauten im All aus der Raumfähre aussteigen zu lassen, damit er ihre beschädigte Unterseite inspizieren könne. Eine Alternative zu dem gefährlichen Unternehmen nannte der Ingenieur Carlisle Campbell: Die Columbia könne mit der Kamera eines US-Spionagesatelliten untersucht werden. Der Vorschlag wurde verworfen.

Der Zwischenfall beim Start und seine tödlichen Folgen verliefen fast genauso, wie die Techniker es prophezeit hatten. Zu diesem Schluss ist inzwischen die unabhängige Kommission gekommen, die das Columbia-Unglück untersucht. Ende Juli soll ihr Bericht der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Das wahrscheinliche Szenario, so wie es Kommissionsmitglieder bislang bekannt gegeben haben: Das 40 mal 60 Zentimeter große Stück Isolierschaum, dass am 16. Januar 82 Sekunden nach dem Start der Columbia vom Außentank einer Antriebsrakete abgeplatzt war, ist mit etwa 800 Stundenkilometern auf den vorderen linken Flügel der Columbia aufgeprallt und hat dort entweder einen Riss verursacht oder eine Stück des Hitzeschilds beschädigt, der später abfiel. Bei ihrer Rückkehr zur Erde drang in den oberen Atmosphärenschichten, als die Raumfähre mit etwa 20.000 Stundenkilometern in 65 Kilometer Höhe flog, bis zu 3.000 Grad heißes Gas durch die beschädigte Stelle in das Innere des Flügels ein. Durch die Hitze schmolzen Metallteile des Flügels, er brach schließlich ab, und die Raumfähre geriet außer Kontrolle.

Hundertprozentige Beweise, das hat der Leiter der Untersuchungskommission, der Exadmiral Harold Gehman mehrfach betont, gibt es für das Szenario nicht. Alle Indizien weisen jedoch darauf hin. Die Kommission hat Datenaufzeichnungen von Sensoren der Columbia rekonstruieren können, die eine Überhitzung des linken Flügels belegen, und rund 12.000 Wrackteile der Raumfähre analysieren lassen. Dabei wurden etwa an der Struktur des linken Flügels Schmelzspuren gefunden, die dafür sprechen, dass heißes Gas in ihn eindrang, bevor die Columbia auseinanderbrach.

Tests des Unglücksszenarios haben zum anderen ergeben, dass das Stück Isolierschaum durchaus beträchtliche Schäden an der linken Tragfläche hinterlassen haben könnte. Die Ergebnisse des letzten, unter originalgetreuen Bedingungen durchgeführten Tests wurden zu Anfang dieser Woche bekannt gegeben: Der Aufprall des Isolierschaumstücks auf eine simulierte Tragfläche hinterließ ein Loch von 40 Zentimeter Größe.

Das dritte Glied in der Indizienkette sind Radaraufnahmen des US-Militärs von der Columbia, die in den Tagen ihres Flugs um die Erde zeigen, wie ein Stück Material langsam von der Raumfähre wegschwebt. Die Kommission ist sich sicher, dass dies ein Stück des Hitzeschilds war, das nach dem Zwischenfall beim Start gelockert worden und dann abgefallen sei.

Höchst unangenehm dürfte der Bericht für die Nasa werden, wenn es um die tiefer liegenden Ursachen für das Columbia-Unglück geht. Die Kommission hat dafür unter anderem rund 200 anonyme Interviews mit Nasa-Mitarbeitern geführt. Einige der Schlussfolgerungen: In der US-Raumfahrtagentur wird bei Sicherheitschecks vor Shuttle-Flügen geschlampt, die Kommunikationsstrukturen zwischen den Abteilungen sind verwirrend. Vor allem beim Columbia-Flug, so die Kommission, wurden Risiken nicht abgewogen. Hätte die Nasa das jedoch getan, hätte es sogar Rettungschancen für die Columbia-Crew gegeben.

Der Gesamteindruck der Kommission: Für die Nasa sind Flüge der Space-Shuttles zu sehr zu einer Routineangelegenheit geworden, die US-Raumfahrtagentur hat zu großes Vertrauen in die Sicherheit der Raumfähren. Das zeigt auch ein jüngst dokumentierter Fall: Bei einem Flug der Raumfähre Atlantis im Mai 2000 hatte es ähnliche Probleme gegeben wie bei der Columbia. Auch damals drangen beim Wiedereintritt in die Atmosphäre heiße Gase in einen Flügel der Atlantis ein und führten zu Schmelzschäden, die jedoch nicht zu Zerstörungen an der Struktur des Flügel führten. Die Nasa ließ den Schaden beheben, hielt ihn aber für so unwichtig, dass einige Astronauten des damaligen Flugs erst jetzt davon erfuhren, durch die Medien.

Die Nasa müsse künftig jeden Shuttle-Flug als einen extrem gefährlichen Testflug behandeln, fordert nun die Kommission. Zudem müsse vor dem nächsten Flug ein Konzept vorgelegt werden, wie Inspektionen und mögliche Reparaturen an einer Raumfähre während eines Flugs ausgeführt werden können. US-Spionagesatelliten sollen in Zukunft auch Aufnahmen von Raumfähren während ihres Flugs machen, mindestens drei Kameras hochauflösende Bilder vom Start machen, damit Zwischenfälle wie der, der zum Auseinanderbrechen der Columbia führten, von Anfang an besser untersucht werden können.

„Die nächsten Shuttle-Flüge werden die sichersten seit langem sein“, meint der Leiter der Untersuchungskommission, Harold Gehman, mit einem Hauch Ironie. „Das kann die Nasa schaffen. Aber um die Raumfähren langfristig zu fliegen, für weitere 20 Jahre, muss das Management grundlegend verändert werden.“