Lebende Künstler erwünscht

Sabrina van der Ley, die neue Leiterin der Hamburger Galerie der Gegenwart, beginnt im Herbst mit einem Paukenschlag: Mit Hilfe des Portugiesen Pedro Cabrita Reis möchte sie ihr eigenes Gebäude, einen Ungers-Kubus, subversiv untersuchen lassen. Respekt vor grauen Eminenzen ist ihr fremd

VON PETRA SCHELLEN

Wenn sie von Ungers spricht, wird sie ein bisschen zögerlich: Nein, den mag sie nicht besonders, sagt Sabrina van der Ley. Ein Bekenntnis, das überrascht, ist Oswald Mathias Ungers doch der Architekt des Hauses, das die Ausstellungsmacherin seit Dezember vorigen Jahres mit leitet.

1997 hatte die Hamburger Kunsthalle einen weißen Ungers-Kubus als Galerie der Gegenwart installiert und dort seither – allen Finanznöten zum Trotz – unverdrossen Gegenwartskunst gezeigt. Sogar eine eigene Sammlung hat Amtsvorgänger Christoph Heinrich aufgebaut und das Haus so zu einem interessanten Zwitter gemacht, der zwischen Kunstverein und Museum changiert.

Dieses ehrgeizige Konzept war seit Amtsantritt des neuen Kunsthallen-Chefs Hubertus Gaßner 2006 ins Stocken geraten. Geschlagene 15 Monate hatte er die Leitung der Galerie der Gegenwart nach Christoph Heinrichs Weggang unbesetzt gelassen. Eine Geste der Sparsamkeit und des Goodwills gegenüber den Politikern, wie er es nannte.

Das wäre jetzt also überstanden: In einer Doppelspitze soll Sabrina van der Ley – gemeinsam mit der Kunsthallen-Kuratorin Petra Röttig – das Haus bespielen. Einerseits eine Abwertung der Galerie der Gegenwart, die anstelle des früheren, weitgehend autonomen Leiters jetzt zwei einander kontrollierende Kuratoren hat.

Besieht man die Konstruktion genauer, besteht indes kein Grund zur Sorge: Petra Röttig soll lediglich Grafiken und Fotos managen. Sabrina van der Ley bleiben Malerei, Skulptur und Installation – der deutlich gewichtigere Batzen. Auch wirkt van der Ley, die von 2000 bis 2008 das Berliner Art Forum leitete, nicht wie eine, die sich unterbuttern lässt: Souverän, humorvoll, selbstironisch breitet sie ihre Pläne aus; sich irgendwem ohne Not anzudienen kommt darin nicht vor.

Nie würde sie etwa den Goethe-Zeitgenossen Jakob Philipp Hackert in der Galerie der Gegenwart zeigen, der derzeit dort prangt. Nein, es sollen schon Künstler des 20. und 21. Jahrhunderts und möglichst auch lebende sein. Und am liebsten möchte sie weiterhin ihren Vorlieben frönen. Möchte minimale und konzeptuelle Kunst zeigen, außerdem genreübergreifende Ausstellungen, die sich mit städtischen und gesellschaftlichen Utopien, mit Behausungen und Unbeheimatet-Sein befassen, wie es ihre Schau „Ideal City – Cities“ tat, die sie 2006 im polnischen Zamość und in Potsdam zeigte.

Beginnen wird van der Ley ihre architektonischen Erkundungen ganz konkret im eigenen Haus: Den Portugiesen Pedro Cabrita Reis hat sie gleich für diesen Herbst eingeladen. Cabrita Reis, Jahrgang 1956, ist Installationskünstler, dessen Arbeiten Innenräume erkunden. Das sollen sie auch im Hamburger Ungers-Bau tun. „Ich hoffe sehr, dass Cabrita Reis subversiv da herangeht“, sagt van der Ley. Das müsste eigentlich funktionieren, „denn die Ehrfurcht vor Ungers dürfte sich inzwischen gegeben haben. Ich glaube, dass Künstler inzwischen einen kritischeren Blick auf Ungers riskieren, als das noch vor acht Jahren der Fall war.“ Um Subversion um ihrer selbst willen gehe es dabei nicht: „Man muss natürlich prüfen, ob dabei neue Perspektiven herauskommen.“

Zudem begreift van der Ley eine solche Schau als Chance, sich das Gebäude ganz persönlich anzueignen. Es soll nicht die einzige bleiben: Ganz bewusst will sie sich zu Beginn ihrer Amtszeit dem Gebäude widmen, es gemeinsam mit den Künstlern untersuchen. An das Projekt „Einräumen“ von 2000 dockt die Idee an, Künstler Un-Orte des Baus bespielen zu lassen – Flure, Garderoben, Wandschränke etwa. „Sie sollen dem Gebäude unter die Röcke und hinter die Paravents gucken.“

Außerdem möchte sie regelmäßig Installationen zeigen, die eigens für den Lichthof der Galerie oder den Sockel davor erstellt wurden. Sabrina van der Ley will dabei nicht das Rad neu erfinden – wohl aber einen neuen Blick riskieren auf das Gebäude, das schon zur Eröffnung Häme erzeugte, weil als Museum denkbar ungeeignet: Die Fenster sind so groß, dass wenig Ausstellungs-Wandfläche übrig bleibt. Der Aufzug geriet so klein, dass größere Artefakte übers Dach hereingehoben werden müssen. Die Treppenstufen sind zu steil und zu kurz. Blieb das äußere Erscheinungsbild des dreigeschossigen Baus – und auch das gefiel nicht jedem. Ein von den Hamburgern hassgeliebtes Objekt bis heute.

Sabrina van der Leyen bleibt bei solcherlei Ressentiments indes nicht stehen. Schon im März wird sie mit der Neuhängung beginnen: In den letzten Jahren Angekauftes wird da zu sehen sein – subtiler Appell an potenzielle Sponsoren. Außerdem, in veränderter Konstellation, Sammlungsbestände. Und natürlich wird van der Ley schauen, wo die Sammlung Lücken aufweist, um Ankäufe anzuregen. Das wird nicht leicht, hat die Galerie der Gegenwart doch weder Ankaufs- noch Ausstellungsetat, so dass wohl die Freunde der Kunsthalle und die Stiftung für die Hamburgischer Kunstsammlung ranmüssen.

Mit dem Betteln um Geld wird van der Ley also gut beschäftigt sein – doch noch gibt sie sich robust: „Bei meinen bisherigen freien Projekten hatte ich keinen institutionellen Rückhalt und musste 100 Prozent akquirieren. In der Hamburger Kunsthalle werden es vermutlich nur 70 sein, zumal es hier professionelle Fundraiser gibt.“

So etwas hört ihr Chef vermutlich gern, und vielleicht hat man van der Ley – auch – deshalb eingestellt: Weil sie in diesem Punkt so bescheiden ist. Und andererseits bekanntermaßen extrem findig in Sachen Akquise. Die Tatsache, dass die Galerie der Gegenwart – aufgrund einer nach der Gründung revidierten Finanzierungszusage des Senats – ein jährliches Defizit von einer Million Euro hinter sich herzieht, irritiert sie jedenfalls nicht. „Ich hoffe, mich hier wieder stärker auf Inhalte konzentrieren zu können“, sagt sie.

Die umfassen auch ganz konkret städtebauliche Fragen, denn „Architektur ist ja immer auch Ausdruck eines gesellschaftlichen Konzepts. Und wenn man da manche totalitären Entwürfe sieht, kann man froh sein, dass die nicht alle realisiert wurden.“ Andererseits gebe es auch heute Architektur, „die einen gewissen Ehrfurchts-Gestus erzeugen will“.

Der müsse man kritisch auf die Finger schauen. Und ja, irgendwann auch in der derzeit wachsenden Hamburger Hafencity. „Da entsteht viel Investorenarchitektur mit der zugehörigen Investorenkunst“, sagt van der Ley. „Wirklich schade.“ Andererseits idealer Anlass für eine Diskussion über Kunst im öffentlichen Raum. „Man könnte die Frage stellen: Kann Kunst hier helfen – und in welcher Dosierung? Dauerhaft oder temporär?“

Als Institution kritisch über die von der Politiker- und Architekturszene mehrheitlich gefeierte Hafencity zu diskutieren: Es wird eine Frage des Mutes sein. Den hat Sabrina van der Ley – noch. Im Übrigen ist die in Hamburg-Wilhelmsburg residierende Internationale Bauausstellung IBA an Kooperation zu solchen Themen interessiert; denkbar wäre eine Diskussionsreihe über Städtebau. Falls die zustande kommt, wären die Hafencity-kritischen Institutionen immerhin schon zu zweit.