berliner szenen Realität und Praxis

Der Fußballjunkie

Der Fußballtrainer Ralf Rangnick war groß. Toller Auftritt. Gut, der Mann, und eloquent. Einer für die Volksbühne, einer, der vom Hundertsten ins Tausendste kommt und zurückfindet. Etwa von der Raumdeckung zum Theater zu seiner Zeit als Spielertrainer bei Viktoria Backnang zu Ernst Happel und zurück zur Raumdeckung.

Dank Rangnick war es auch egal, dass man bei der Klaus-Theweleit-Buchvorstellung „Das Tor zur Welt“ in der Volksbühne das Gefühl hatte, gleich mehreren Halbzeiten beizuwohnen: erst die Fußballschule mit Rangnick und Christoph Biermann, dann Theweleit als kleiner Junge und späterer Entdecker des „digitalen Fußballs“, dann eine Gesprächsrunde, die keine war, weil Rangnick redete und Theweleit Fallbeispiele zeigte, dann ein Film über ein etwas anderes Finale. Immerhin, einig war man sich: Die Raum- und Zeitkoordinaten des Fußballls haben sich verändert. Rangnick, der Praktiker, Theoretiker und Theweleit-Leser, glaubte, in der Volksbühne ruhig den Oberlehrer geben zu können, weil „hier ja keiner von der Presse ist“ – ohne zu merken, dass fast nur Presse da war, nur eben nicht die, die Rangnick meinte. Eine schöne deformation professionelle, schließlich war dies die Volksbühne, nicht das DSF.

Hier können Realität und Praxis eben auch so aussehen: Auf dem Klo ein Junkie mit einer entzündeten Armvene und sein Betreuer, der ihm zu helfen versucht. Und im großen Saal Ralf Rangnick, der erzählte, dass sein 13-jähriger Sohn inzwischen ein Spiel zu „lesen“ versteht. Am Ende fragte man sich nur noch, warum auch Old-School-Trainer wie Rehhagel und Schäfer noch ihr Auskommen haben und Rangnick gerade bei Hannover 96 entlassen worden ist.

GERRIT BARTELS