Tränen auf dem roten Platz

Beim ersten russischen Frauenfinale der French Open in Paris hat Anastasia Myskina zumindest auf dem Platz ihre Nerven erheblich besser im Griff als Elena Dementjewa und gewinnt 6:1, 6:2

AUS PARIS DORIS HENKEL

Die eine heulte vor dem Spiel, die andere hinterher, und dazwischen lag eine Stunde von lähmender Leere. Ach, heulen ist gar kein Ausdruck. Schluchzend hockte Anastasia Myskina, 22, kurz vor dem größten Auftritt ihres Lebens in der Kabine, zitternd, mit stockendem Atem. Die ganze Anspannung der zwei Wochen in Paris brach aus ihr heraus, verstärkt durch den Gedanken, in einem historischen Spiel gegen eine Freundin aus Kindertagen antreten zu müssen. Zum Glück war eine einfühlsame Physiotherapeutin zur Stelle, die sagte, was man in solchen Fällen so sagt: „Tiiief durchatmen. Sei ganz ruhig. Du kannst das. Tiiief durchatmen.“

Die gute Frau hat ganze Arbeit geleistet. Als Myskina eine halbe Stunde später auf dem Court Central zum Finale erschien, hatte sie sich wieder im Griff, und überlegen mit 6:1, 6:2 gewann sie in weniger als einer Stunde den Titel bei den French Open. In einem schrecklichen Spiel. Auch Elena Dementjewas Nerven waren schon vorher zum Zerreißen gespannt, aber der Zusammenbruch folgte erst draußen, vor 16.500 Zuschauern im hellen Licht der Sonne. Sie zitterte, sie hatte Angst, und mit jedem Fehler, vor allem mit jedem der zehn Doppelfehler, wurde es schlimmer; sie atmete flach und viel zu schnell und bildete sich ein, den Ball nicht richtig zu erkennen. „Mein ganzes Leben lang habe ich auf diesen Moment gewartet“, sagte sie später mit sehr, sehr leiser Stimme, „aber ich konnte mit dem Druck einfach nicht umgehen. Das war nicht ich heute auf dem Platz.“

Bei Elena Dementjewa, 22, flossen die Tränen nach dem Spiel, in der Kabine und auch bei der Pressekonferenz. Als einer mit bemüht positivem Unterton fragte, wie gut sie mit einem besseren Aufschlag sein könnte – nicht jenem Aufschlag wie eine Pusteblume, der ihr im Laufe des Turniers 67 Doppelfehler bescherte –, da war es um ihre Fassung geschehen. „Ich hasse meinen Aufschlag“, hatte sie schon während des Spiels einmal geflucht, und da gab es nichts hinzuzufügen. Seit einer Operation in der rechten Schulter lässt sich die Bewegung jedoch nur schwer korrigieren.

So wurde dieser Tag, von dem sie ein Leben lang geträumt hat, ein Tag der Traurigkeit, allenfalls erhellt von ein paar Gesten des Publikums. Von einem lauten Zwischenruf („p aber du bist die Schönere, Elena“) und vom betont warmherzigen Beifall der Leute für ihre kleine französische Rede bei der Zeremonie auf dem Podium. Elena Dementjewa ist eine intelligente junge Frau, und sie sagt, sie habe die schmerzhafte Lektion verstanden. „Wenn ich solche Sachen gewinnen will, dann muss ich einfach im Kopf stabiler sein.“ Obwohl ihr der Gedanke, sich ausgerechnet die Siegerin des Tages als Beispiel zu nehmen, im Moment sicher nicht angenehm ist, liegt er doch nahe.

Noch vor ein paar Monaten bei den Australian Open war Myskina mit ihren Schimpf-Tiraden gegen sich selbst, gegen ihren Coach und ihre Eltern aufgefallen, und auch zu Beginn der French Open hatte man sie immer mal wieder fluchend auf dem Platz gesehen. „Irgendwann habe ich begriffen, dass das nichts nützt“, sagte sie in der Stunde des Sieges beim Interview-Marathon, der dreimal länger dauerte als zuvor das Spiel. „Ich denke, dass ich jetzt auf dem Platz viel professioneller bin, und vor allem dabei hat mir mein Coach sehr geholfen.“

Nun ja, bei dem, was die beiden hinter sich haben, kann Professionalität als sichere Basis nicht schaden. Zuerst ist der Stuttgarter Jens Gerlach Myskinas Trainingspartner gewesen, dann wurde er ihr Freund, danach war er Freund und Coach, und seit etwas mehr als einem halben Jahr ist er nur noch Coach. Beide waren damals der Ansicht, jeden Tag 24 Stunden zusammen zu sein, sei auf die Dauer zu viel, und seit sie sich die Luft nicht mehr gegenseitig nehmen, spielt Anastasia besser denn je. Als Gerlach vor ein paar Tagen gefragt wurde, wie er die Beziehung jetzt beschreiben würde, hat er gelacht und „einzigartig“ gesagt.

Auf dem blumigen Umweg über die Liebe hat Anastasia Myskina zur Strategie des Spiels gefunden, und vor allem das ist es, worin sie sich von vielen Konkurrentinnen unterscheidet. Hirn einschalten, Herz kontrollieren und tiiief durchatmen, wenn die Nervosität durch den Körper kriecht. So hat sie den ersten Grand-Slam-Titel ihres Lebens gewonnen. Den ersten einer russischen Tennisspielerin auf dem roten Platz in Paris.