Der IG Metall laufen die Mitglieder davon

Gewerkschaft leidet unter Austrittswelle. Führungsstreit verschärft den Trend, warnt IG-Metall-Stratege Klaus Lang

BERLIN taz ■ Es war ein hehrer Wunsch des IG-Metall-Vorsitzenden Klaus Zwickel. Man wolle, sagte er nach der gescheiterten Vorstandssitzung vom Dienstag, „die Auseinandersetzung nicht mehr öffentlich austragen“. Doch das Gegenteil ist der Fall: Der Machtkampf zwischen Befürwortern und Gegnern des 2. Vorsitzenden Jürgen Peters geht munter weiter – öffentlich.

Der Berliner Streikleiter Hasso Düvel griff gestern Zwickel an und attestierte ihm mangelnde Integrationsfähigkeit. Helmut Lense, Vorstandsmitglied und Daimler-Betriebsrat, warf dem 2. Vorsitzenden Jürgen Peters dagegen erneut die Täuschung des Vorstands beim Streik im Osten vor. Kritik an Peters wurde erstmals auch aus Ostdeutschland laut. „Man kann nicht sagen: Alle anderen sind schuld“, kritisierte der Leiter der Verwaltungsstelle Chemnitz, Sieghard Bender, den 2. Vorsitzenden. In einer Analyse der Verwaltungsstelle wird Peters – ohne Namensnennung – die Hauptverantwortung für das Desaster im Arbeitskampf um die 35-Stunden-Woche gegeben.

In der IG Metall sehen immer mehr die Gefahr, der Führungsstreit befördere den immensen Mitgliederverlust der weltweit größten Industriegewerkschaft. Dieser sei nur aufzuhalten, sagte der IG-Metall-Stratege Klaus Lang der taz, „wenn die Diskussion und Zerrissenheit überwunden wird“. Gestern gab die IG Metall einen drastischen Rückgang ihrer Mitgliederzahlen bekannt: In den ersten sechs Monaten dieses Jahres haben 46.912 Mitglieder die Organisation verlassen. Mehr als die 43.302 Mitglieder, die im gesamten vergangenen Jahr austraten. Insgesamt gehören der Gewerkschaft jetzt noch 2,584 Millionen Mitglieder an.

Gegenüber dem Höchststand kurz nach der Wiedervereinigung 1992 ist das ein Verlust von 1 Million. Dies hänge vor allem mit dem Beschäftigungsverlust in Ostdeutschland zusammen, sagte Lang. Die Gewerkschaft hat heute 284.211 Mitglieder im Osten, 1992 waren es noch immerhin 900.000. Doch der Beschäftigungsverlust ist nicht der einzige Grund. „Man geht nicht mehr automatisch in die Gewerkschaft“, stellt Lang einen generellen Verlust an Attraktivität fest. Und in vielen Bereichen, etwa der Angestellten, sei die IG Metall „unterrepräsentiert“.

Gleichzeitig räumt Lang ein, dass die momentane Politik der Gewerkschaft nicht gerade förderlich ist für die Mitgliedergewinnung. Im Gegenteil. Beispiel Streik im Osten. „Wir haben im Verlauf des Streiks deutlich Mitglieder verloren – das hat es sonst nie gegeben.“ Beispiel Tarifpolitik. Wenn es die IG Metall nicht schaffe, eine differenzierte Tarifpolitik einzuschlagen, dann laufe sie Gefahr, „immer mehr als Interessenverband für die Arbeiter in den traditionellen Großbetrieben wahrgenommen zu werden“. Die Mitglieder würden keine Haltung unterstützen, die sich „nur auf die Kampfweise versteht“. Und: Nichts widert die Mitglieder offenbar mehr an als Streit in der Führung. „Der Führungsstreit“, sagt Lang, „bringt doch jedes Mitglied auf die Palme und im nächsten Schritt dann vielleicht zum Austritt.“

Der Machtkampf allerdings wird noch andauern: Zwickel wird dem 41-köpfigen Vorstand am 1. September einen Vorschlag für die künftige Spitze unterbreiten. Frank Teichmüller, reformfreudiger Bezirksleiter Küste, hatte sich ins Gespräch gebracht – aber nur „im Notfall“, wie er gestern sagte, wenn kein jüngerer und besser geeigneter Kandidat zu finden sei. Und: Eine Kandidatur im Team mit Peters lehnte er ab. THILO KNOTT