Kleine Sensation bei EU-Einwanderungspolitik

Mit dem Kompromiss, den Außenminister Fischer im Konvent bei Zuwanderungsfragen erzielte, können Grüne, SPD und Union leben

BERLIN taz ■ Joschka Fischer ist ein innenpolitisches Meisterstück gelungen. Auf dem höchst umstrittenen Feld der Einwanderungspolitik hat der Außenminister als Vertreter der Bundesregierung im EU-Konvent ein Ergebnis erreicht, mit dem von der CDU bis zu den Grünen alle leben können. Bedenkt man, wie kontrovers die Zuwanderungsdiskussion seit Jahren verläuft, ist der allseits begrüßte „Kompromiss“ eine kleine Sensation.

Die Union ist zufrieden, weil Deutschland beim Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ein Vetorecht behält. Damit habe man „das strategische Ziel voll erreicht“, jubelte der Chef der CDU/CSU-Europaabgeordneten, Hartmut Nassauer. Die Grünen wiederum freuen sich, weil sich Deutschland beim Asylrecht und allen anderen Einwanderungsfragen künftig europäischen Mehrheitsentscheidungen beugen muss. „Das ist das Gute daran“, sagte der grüne Verhandlungsführer beim deutschen Zuwanderungsgesetz, Volker Beck. Für ihn steht nun fest: „Über kurz oder lang wird sich Deutschland an die europäischen Standards anpassen müssen.“

Die bisher aus Rücksicht auf die Union vorgesehenen „Sonderbarkeiten“ wie beim niedrigen Familiennachzugsalter und dem unzureichenden Schutz vor nichtstaatlicher Verfolgung könnten jetzt „nur noch eine Weile aufrechterhalten werden“, glaubt Beck. Und auch der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz ist sich sicher, dass die Forderungen der Union nach restriktiven Regelungen nicht mehr lange haltbar sind. „Darüber wird Europa hinweggehen“, sagte Wiefelspütz.

Weniger euphorisch zeigten sich die Flüchtlingsschützer von Pro Asyl. Der Kompromiss im EU-Konvent habe zwar „das Schlimmste verhindert“, nämlich ein Vetorecht bei allen Einwanderungsfragen, sagte Pro-Asyl-Europareferent Karl Kopp. Er warnte allerdings, dass das Vetorecht beim Zugang auf den Arbeitsmarkt als „Hebel“ verwendet werden könne, um liberale Entscheidungen in anderen Bereichen zu blockieren.

Diese Gefahr wird auch bei den Grünen gesehen. „Die Grabenkämpfe werden weitergehen“, befürchtet Beck. Grünen-Parteichefin Angelika Beer und der migrationspolitische Sprecher Josef Winkler hatten ihren Parteifreund Fischer zunächst sogar scharf kritisiert, weil er im EU-Konvent ohne Rücksprache mit seiner Partei für ein Vetorecht in Einwanderungsfragen eingetreten war. Mit dem Ergebnis ist nun aber auch Winkler „einigermaßen zufrieden“. Ihn stört nur noch „die Art und Weise“, wie Fischer vorgegangen sei.

Auch bei der Union sind nicht alle glücklich. Der zuwanderungspolitische Hardliner der CDU im Bundestag, Reinhard Grindel, nannte das Ergebnis, das sein Parteifreund Erwin Teufel miterarbeitete, „unzureichend“. Ohne Einstimmigkeit beim Asylrecht seien Regelungen zu erwarten, die hinter den deutschen Asylkompromiss von 1992 zurückfallen, sagte Grindel, und „die zu weiterer Zuwanderung führen“. Er appelliert deshalb an Kanzler Schröder, bei der EU-Regierungskonferenz auf „Nachbesserungen“ zu drängen. Was, wenn nicht? Selbst Grindel hielt sich gestern mit Drohgebärden zurück. „Ich sage nicht, dass man deswegen den ganzen Verfassungsvertrag ablehnen sollte.“ LUKAS WALLRAFF