Die Anwältin des Kalifen

Ingeborg Naumann vertritt Metin Kaplan, nicht seine Ideologie. Es ist ihr aufwändigster Fall, mit mäßigem Erfolg

AUS KARLSRUHE CHRISTIAN RATH

Der Kalif ist gar nicht so dogmatisch. Zum Beispiel kann Metin Kaplan durchaus mit starken Frauen zusammenarbeiten. Seit über fünf Jahren lässt er sich von einer Anwältin vertreten: Ingeborg Naumann aus Karlsruhe, 65 Jahre, alles andere als devot, eher ein harter Knochen. „Er scheint keine Probleme mit mir zu haben“, sagt Naumann. Und erzählt, dass Kaplan sogar eine Hausärztin hat. Doch da muss auch die Anwältin schmunzeln, so ganz ernst scheint der Herr Kalif seine archaische frauenfeindliche Ideologie wohl nicht zu nehmen. Aber ihr ist das egal. Mit Islamismus hat Naumann, die sich selbst als Linksliberale sieht, nichts am Hut: „Ich habe als Anwältin keine Ideologie zu vertreten, sondern einen Mandanten.“

War es nicht ein geschickter Schachzug Kaplans, sich ausgerechnet eine Frau als Rechtsbeistand zu nehmen? Nein, es war vielmehr ein Karlsruher Beamter, der das ungleiche Paar zusammenbrachte. Dieter Behnler, der Leiter des Ordnungsamtes, rief eines Nachmittags bei Naumann an, weil sich 1.000 Anhänger Kaplans in Karlsruhe, am Sitz des Bundesgerichtshofs, sammelten. Kaplan war gerade unter dem Vorwurf festgenommen worden, er habe zum Mord an einem Rivalen aufgerufen. „Die Anhänger und seine Angehörigen wissen nicht, wo er ist“, sagte der Beamte. Das war für Naumann wohl der Grund, die Vertretung zu übernehmen. Es könne im Rechtsstaat nicht sein, dass jemand spurlos verschwindet.

Dienstag ist „Apartheidtag“

Alsbald fand sie heraus, dass Kaplan in ein Gefängnis nach Bielefeld gebracht worden war. Auftrag erledigt, die brenzlige Situation bereinigt. Doch die Anwältin blieb an Kaplans Seite: im Strafverfahren, beim Verbot des Kalifatsstaats und jetzt gegen seine drohende Abschiebung (siehe links). Es wurde ihr wohl aufwändigstes Mandat – 200 Leitzordner stehen bereits in ihrer Kanzlei – und ihr abenteuerlichster Auftrag dazu.

Abenteuer hat die gebürtige Berlinerin nie gescheut. Vor ihrem Jurastudium trieb sie sich erst Jahre in der Welt herum, hatte keine Lust auf die deutsche Enge der 60er-Jahre. In Jordanien arbeitete sie für eine evangelische Schule, für die UNO managte sie ein palästinensisches Flüchtlingslager, kümmerte sich im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung um straffällige Jugendliche in Vietnam. „Ich stammte aus einer erzkonservativen Familie, die aus dem Osten abgehauen war“, so Naumann, „deshalb war ich ein politisches Neutrum, als ich ins Ausland ging. Aber ich kam ziemlich politisiert zurück – immerhin hatte ich den Vietnamkrieg hautnah miterlebt.“

Zurück in Deutschland begann sie 1974 in Freiburg Rechtswissenschaft zu studieren. Da war sie schon 35. Neben dem Studium wurde sie bei amnesty international aktiv und saß schon bald im ai-Bundesvorstand, dem sie bis 1982 angehörte. Liegt ja nahe, dass sich so eine auf Ausländerrecht spezialisiert, meint man. Doch Ingeborg Nauman möchte nicht in diese Schublade gesteckt werden. „Wer sich als Anwältin nur um Ausländer kümmert, wird weniger ernst genommen, und das schadet letztlich auch den Mandanten.“ Deshalb hat sie sich einen zweiten Schwerpunkt im Familienrecht aufgebaut und zwei „Apartheidtage“ pro Woche eingeführt, wie sie selbstironisch erzählt: Dienstags und donnerstags werden nur deutsche Mandanten empfangen, eine Art Quote, die eine ausgewogene Klientel sichern soll.

Eine Szene-Anwältin ist Ingeborg Naumann jedenfalls nicht. Ihre Kanzlei liegt in Karlsruhe in bester Lage am Europaplatz. Die Einrichtung ist funktional und sachlich. Auffällig ist nur der große Kaktus auf ihrem Schreibtisch. „Ich bin nun mal eine stachlige Person“, betont die Karlsruher Juristin.

Charmeoffensive für Kaplan

Im Gespräch hat Naumann zwei Gesichter. Meist ist sie eine zwar unkonventionelle, aber liebenswürdige ältere Dame. Wenn man ihr jedoch kritische Fragen zu Kaplan stellt, dann verhärten sich ihre Züge, die Mundwinkel beginnen zu zucken, ihr Ton wird scharf. So war sie kürzlich auch bei Anne Will in den „Tagesthemen“ zu sehen und hat bei vielen Zuschauern einen eher unsympathischen Eindruck hinterlassen.

Öffentlichkeitsscheu ist die gebürtige Berlinerin aber keinesfalls. So startete sie vor einem Jahr eine Charmeoffensive für Kaplan. Im ARD-Magazin „Report“ ließ sie den Kalifen erklären: „Ein gläubiger Moslem kann Terror nicht befürworten. Islam heißt Frieden, Islam ist Frieden, ich will mit den Deutschen in Frieden zusammenleben.“

Jetzt, ein Jahr später, würde sie am liebsten mit Otto Schily ein Fernsehstreitgespräch führen. „Schließlich muss doch mal klargestellt werden, dass der Kalif völlig zu Unrecht zum Buhmann der Nation aufgebaut wurde“, betont sie. Mit Terrorismus habe Kaplan jedenfalls nichts zu tun: „Dass Kaplan geplant haben soll, mit Kleinflugzeugen voll Sprengstoff in das Atatürk-Mausoleum in Ankara hineinzufliegen, das ist ein Fantasiekonstrukt der türkischen Sicherheitsdienste“, betont Naumann. Seine Abschiebung will sie unbedingt verhindern, denn die Türkei hält sie nach wie vor für einen „Unrechtsstaat“. Türkische Zusagen, es gebe einen fairen Prozess und keine Folter, seien „nichts wert“. Naumann hält es sogar für möglich, dass der türkische Geheimdienst Kaplan in Deutschland kidnappen oder ermorden könnte. Starke Worte.

Sand ins Getriebe streuen

Zunächst war Naumann allerdings nur bedingt erfolgreich. Kaplan musste ins Gefängnis, der Kalifatsstaat blieb verboten, der Asylanspruch wurde aberkannt. Im Ausweisungsverfahren hat sie nun aber gehörig Sand ins Getriebe gestreut. Viele in Politik und Medien ärgern sich über das juristische Katz-und-Maus-Spiel des Islamisten. Der weilt immer noch in Deutschland, obwohl jüngst gerichtlich festgestellt wurde, dass kein Abschiebehindernis besteht. Denn im entscheidenden Moment, als die Kölner Polizei Kaplan festnehmen wollte, war er gerade zu einem Besuch bei einem Bekannten und konnte sich so der wohl geplanten Blitzabschiebung entziehen.

Hat ihm Ingeborg Naumann das geraten? „So etwas würde ich nie tun“, sagt die 65-Jährige lächelnd. „Aber ich habe ihm die Sach- und Rechtslage erklärt, und da wird er wohl selbst seine Schlüsse draus gezogen haben.“ Ob Metin Kaplan seinem Gott inzwischen für die Weisheit der Frauen gedankt hat?