Musharraf als Zauberlehrling

Pakistans Präsident wollte Islamisten für seine Zwecke in die Parlamentsarbeit einbinden. Das misslang. Stattdessen verfolgt die stärker werdende Opposition ihre islamischen Interessen und attackiert die Regierung mit demokratischen Argumenten

von BERNARD IMHASLY

Das Attentat auf schiitische Gläubige beim Freitagsgebet vor einer Woche in Quetta mit 47 Toten stellt den schwersten Anschlag im Kleinkrieg zwischen Schiiten und Sunniten in der Geschichte des Landes dar. Präsident Pervez Musharraf versprach, die Regierung werde entschlossen gegen die Terroristen vorgehen. Die Wortwahl zeigt, wie mittlerweile die religionsideologische islamische Auseinandersetzung zwischen der schiitischen Minderheit (20 Prozent der Bevölkerung) und den Sunniten (77 Prozent) als Terrorismus betrachtet wird. Wie so oft in Pakistan ist der Staat mit schuld am Wachsen von Verbänden mit Verbindungen zu al-Qaida und Kaschmir-Organisationen.

Aus Akten sowie Aussagen von Oppositionsmitgliedern geht hervor, dass der militärische Geheimdienst eine zentrale Rolle beim Zusammenschluss der sechs wichtigsten islamischen Parteien zur „Muttahida Maijlis e-Amal“ (MMA) spielte. Seitdem wurde die MMA zur größten Oppositionspartei, die die Volksparteien PPP und „Muslim Liga“, in die Ecke drängte. Das Kalkül Musharrafs: Er wollte eine willfährige Regierungsmehrheit aus opportunistischen Kleinparteien und „Unabhängigen“ – und eine loyale Opposition von Islamisten, die ihm für die Wahlhilfe dankbar sein würden.

Doch er hatte falsch gepokert. Die Islamisten haben sich mit PPP und „Muslim Liga“ zusammengetan und blockieren jede Parlamentsarbeit. In der von ihr kontrollierten Nordwestprovinz führte MMA eigenmächtig ein islamisches Grundgesetz ein. Die MMA gibt sich in ihrem Kampf gegen Musharraf nicht nur als Verfechterin des Korans, sondern auch der Demokratie. Falls es ihr gelingt, diesen Spagat aufrechtzuerhalten, ergibt sich bald für die internationale Gemeinschaft ein neues Dilemma: auf der einen Seite ein islamistischer, antiwestlicher, aber demokratischer Staat, auf der andern Musharrafs US-freundliches Regime mit fragwürdiger demokratischer Reputation.

Die MMA-Koalition kämpft für die Errichtung einer radikalen islamischen Gesellschafts- und Rechtsordnung, und sie kann sich dabei auf ein massives Wählervotum berufen, das ihr im letzten Oktober zur Kontrolle über zwei der vier pakistanischen Provinzen verhalf. Sie stellt mit Demokratie-Argumenten Musharrafs Verrenkungen in Frage, mit denen dieser versucht, seine Allmacht in ein demokratisches Arrangement hinüberzuretten. Es gibt Zeichen, dass die MMA bereit ist, ihm diese Sünde teilweise zu verzeihen, wenn er im Gegenzug für Pakistan ein islamisches Staats- und Gesellschaftsmodell einführt.

Bisher hat sich Musharraf geweigert, auf diesen faustischen Handel einzugehen. Doch der Druck auf ihn wächst. Acht Monate nach den Wahlen, die den demokratischen Übergang vom dreijährigen Militärregime abschließen sollten, ist das Parlament immer noch funktionsunfähig.

Musharraf hat immer noch einige Trümpfe in der Hand. Die Mischung von autoritärem Auftreten und das Tolerieren von Kritik, etwa durch erstaunlich freie Medien, haben ihm die relativ breite Popularität erhalten, die beim Putsch von 1999 offensichtlich war. Er hat diese auch durch sein ökonomisches Management gestärkt, dem es teilweise zu verdanken ist, dass die Wirtschaft heute wesentlich besser dasteht als vor vier Jahren.

Entscheidend ist aber die Unterstützung durch die USA. Der Segen, den Präsident Bush Musharraf kürzlich mit seinem Empfang in Camp David erteilt hat, zeigt, dass die USA auch einen Militärherrscher zu schlucken bereit sind, wenn es in ihr strategisches Kalkül passt. Die Schlüsselrolle, die Pakistan im Kampf gegen al-Qaida spielt, sowie die Nähe zu Afghanistan machen Musharraf zu einem unverzichtbaren Partner. Aus Angst vor einer islamistischen Regierung bevorzugt Washington offenbar ein undemokratisches Regime, Ideale hin oder her.