Steve Lacy gestorben

Es gilt als schwieriges Instrument, das Sopransaxofon. Von der Tonlage her eigentlich der Klarinette verwandt, sträubt es sich aber wegen seiner sich öffnenden Luftsäule gegen deren präzisen Ton – was Alt- und Tenorsaxofon durch eine tiefere Lage wettmachen, beim Sopran jedoch oft zum jammernden Quietschen führt. Nun haben der Instrumentenbau und die Spieltechniken in den letzten dreißig Jahren einige Fortschritte gemacht. Trotzdem gibt es keinen Jazzmusiker seit den Tagen von Sidney Bechet, der es auf dem Sopran zu einer solchen Meisterschaft brachte wie Steve Lacy, auch John Coltrane nicht.

Tatsächlich sind Bechet und Coltrane auch die beiden Namen, die das Spektrum umreißen, in dem sich Lacy bewegte. Denn auch das machte seine Laufbahn zu etwas Außergewöhnlichem: In seiner langen Karriere durchschritt Lacy so gut wie jede Spielart des Jazz und war immer on the edge. Er begann Mitte der Fünfziger in einigen Bands, die sich dem Revival des traditionellen New-Orleans-Jazz verschrieben hatten – und bestand auch später darauf, niemand sei je mehr Avantgarde gewesen als Louis Armstrong. Dann schloss er sich den Erneuerern des Bebop rund um die Pianisten Cecil Taylor und Mal Waldron und den Arrangeur Gil Evans an, um schließlich einige Monate mit seinem Vorbild Thelonius Monk zu spielen. Das war 1960, und der einzigartige Sound, den er für das Sopransaxofon entwickelte, inspirierte John Coltrane, sich ebenfalls dieses Instruments anzunehmen.

Mitte der Sechziger zog Lacy nach Europa und wurde eine der zentralen Verbindungsfiguren zwischen der nordamerikanischen und der europäischen Szene. Ob es der freie Sound jener Tage war oder das Nutzen kompositorischer Elemente, ob es Kollaborationen mit Tänzern oder das Vertonen von literarischen Texten war: Immer war Lacy offen für Neues.

Selbst für einen Jazzmusiker hatte Steve Lacy eine erstaunliche Produktivität. 236 Alben hat er eingespielt, davon allein 20 unbegleitete Sopransaxofon-Platten. Am Samstag starb er in Boston nach langer Krankheit an den Folgen eines Krebsleidens. Er wurde 69 Jahre alt.

TOBIAS RAPP