Ein Lob der zweiten Reihe

Gerhard Schröders Auftritt bei den D-Day-Feiern in der Normandie war angemessen. Vor allem traf der Kanzler den richtigen Ton. Das klingt selbstverständlich – war aber keineswegs immer so

VON STEFAN REINECKE

Es gilt hierzulande als eher peinlich, den Kanzler zu loben. Denn vor allem die Linke achtet in Deutschland auf Distanz zum Staat. Dieser Affekt ist die Schrumpfform einer Machtkritik, die – nicht nur, aber auch – in dem monströsen Machtmissbrauch der Nazis wurzelt. Die Distanz zum Offiziellen, in dem alle Kanzler grau sind, mag verständlich sein – so richtig nützlich ist der Generalverdacht gegen „den Staat“ vor allem für den eigenen Seelenfrieden.

Voilà: Gerhard Schröders Auftritt in der Normandie war angemessen, gelungen, richtig. Es gibt von der D-Day Feier vorgestern zwei charakteristische Bilder. In Arromanches, bei der zentralen Gedenkveranstaltung, sitzt Schröder dort, wo ein deutscher Kanzler an diesem Tag hingehört: in der zweiten Reihe, hinter dem US-amerikanischen und russischen Präsidenten. Das mag protokollarische Gründe haben, trifft aber den Kern. Auf dem zweiten Foto sieht man Schröder und Chirac, umringt von Menschen. Diese beiden Bilder zeigen, warum dieser Auftritt ein Erfolg war – wegen Schröders Zurückhaltung und seiner eindeutigen Botschaft.

In Caen hat Schröder gesagt, dass der D-Day und der Sieg der Alliierten (ausdrücklich der russischen Soldaten) „kein Sieg über Deutschland war, sondern einer für Deutschland“. Das ist eben keine umstandslose Einreihung des heutigen Deutschland in die Phalanx der Alliierten und geschichtsvergessene Umwidmung der Deutschen in späte Sieger. Die Westdeutschen haben in den 50ern bekanntlich die Flucht in die Identifikation mit den Siegern angetreten– Schröder hat diese Geste vermieden.

Und er hat einen zweiten groben Fehler umschifft – nämlich letztlich doch eine patriotischen Unterton anzuschlagen. Der Sieg der Allierten war bei Schröder eine Befreiung. Ohne Ausrufezeichen, ohne halbes Fragezeichen, wie bei manchen deutschen Rechten. Einfach mit einem Punkt. Es ist etwas Selbstverständliches, nichts, was bewiesen werden muss oder strittig ist. Auch deshalb kam seine Rede in Caen wohl so gut an – sie war frei von jener mehr oder minder unausgesprochenen Ambivalenz deutscher Rechter.

Wer sich vergegenwärtigt, welches Unheil Kanzler erinnerungspolitisch schon angerichtet haben, weiß zu schätzen, dass Schröder diesen Auftritt unfallfrei über die Bühne bekommen hat. „Remember Bitburg“ war ja keine leere Mahnung – die altvorderen CSUler hatten von Schröder nicht anderes als „Bitburg 2“ verlangt: den deutschen Soldatenfriedhof zu besuchen, auf dem Waffen-SSler und die Kommandeure des Massakers von Oradour beerdigt sind.

Kein Geschichtsveranstaltung ohne Lehre für heute: Es ist eine banale Erkenntnis, dass Politiker solche Events für Selbstinszenierungen nutzen. Das Bild, das Bush und Chirac einvernehmlich zeigt, soll dem US-Publikum beweisen, dass Bush noch Verbündete hat. Auch Schröder hat gegenwärtige Interessen – die Alternative ist die Idee eines zweckfreien Gedenkens, das geradewegs in die unpolitischen Innerlichkeitsideen von Martin Walser führen kann. Und was ist Geschichte, wenn nicht auch eine Erzählung, mit der wir uns unserer selbst versichern?

Schröders Conclusio fürs Heute lautet: für Demokratie, gegen Nationalismus und Kriegstreiberei. Das ist nicht sehr überraschend, aber in dieser eher melancholischen als auftrumpfenden Rede auch nicht störend. Zumindest vermeidet Schröder den Eindruck, allzu forsch von der Katastrophe zum besseren Heute zu eilen. Die griffige Doppelbotschaft am Ende: Wir sind keine Pazifisten, aber greifen auch nicht leichthin zu militärischen Mitteln. Das eine ist ein Hinweis, dass Deutschland machtpolitisch oben mitspielt – das zweite ein Wink an Mr. Bush. Auch wer sich mehr Pazifismus von Rot-Grün wünscht, dürfte begreifen, dass der D-Day ein denkbar mieser Termin ist, um die Welt mit pazifistischen Ideen zu beglücken. Deutschland als zivile Macht ist bei Schröder das Ergebnis der Nazi-Katastrophe. What’s wrong with it?