Fesselnde Behandlung

Trotz mehrerer Selbstmordversuche bleibt Abschiebehäftling ohne psychischen Beistand. Anwalt sieht Obhutspflicht verletzt. Staatsanwaltschaft ermittelt auch gegen behandelndes Marienkrankenhaus, Senat spricht von „intensiver Betreuung“

von EVA WEIKERT

Mathias Wagner spricht von „Menschenverachtung“. Der Anwalt vertritt einen Togolesen, der in Hamburgs Abschiebeknästen einen Alptraum erlebte. Obwohl Kokou D. dreimal versuchte, sich in der Haft zu töten, wurde ihm keine psychologische Hilfe zugestanden. Auch nachdem sich der 33-Jährige eine Kugelschreibermine durch die Gurgel gestoßen hatte und im Hohenfelder Marienkrankenhaus operiert werden musste, erfolgte keine psychiatrische Begutachtung. Anwalt Wagner hat am Freitag Strafanzeige erstattet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt auch gegen die Klinik, weil sie D. kurz nach Erwachen aus der Narkose noch mit Kanülen im Arm und Magensonde entließ. Wagner: „Eine inhumane Sonderbehandlung.“

Wagners Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung und unterlassenen Hilfeleistung richten sich gegen das Untersuchungsgefängnis Holstenglacis und die JVA Fuhlsbüttel (Santa Fu). In Santa Fu saß der abgelehnte Asylbewerber D. bis zum 4. März in Abschiebehaft. Als er an diesem Tag zum Flughafen gebracht werden sollte, wurde er mit Schnittwunden in seiner Zelle aufgefunden. Erst als D. „mehrmals mit voller Wucht mit dem Kopf gegen die Wand rannte“, wie Wagner nach Einsicht der Gefangenenpersonalakte berichtet, sei die Abschiebung abgebrochen worden. Weder zu diesem Zeitpunkt noch in den folgenden fünf Tagen, in denen D. jegliches Essen verweigerte, nahmen Psychologen sich seiner an. Wagner: „Die Behandlung bestand darin, ihn zu verbinden und nackt ans Bett zu fesseln.“

Das Versagen der Ärzte wiederholte sich am Holstenglacis, wohin D. am 9. März zur Haftprüfung gebracht wurde. Dort wurde Wagner zufolge der richterliche Vermerk ignoriert, D. sei wegen „Suizidabsicht umgehend“ einem Arzt vorzuführen. Die verfügte Haftverlängerung ließ den Flüchling aus der afrikanischen Diktatur so verzweifeln, dass er sich in die Luftröhre stach. Auch das behandelnde Marienkrankenhaus holte keinen Psychologen zu Hilfe. „Offenbar hielt man daran fest, der Betroffene versuche nur mit dem Trick der Selbstverstümmelung, seine Abschiebung zu vereiteln.“

Die Justizbehörde will zu den Vorwürfen nicht Stellung nehmen: „Wir äußern uns nicht zu laufenden Ermittlungsverfahren.“ In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der GALierin Antje Möller versichert der Senat indes, in der Abschiebhaft „findet eine intensive Betreuung durch Mitarbeiter der psychiatrischen, psychologischen und ärztlichen Dienste statt“. Dass der Senat für die ersten fünf Monate 2004 Null Suizidversuche in Abschiebehaft zählt, wertet Möller als „weiteren Beleg dafür, dass der Behörde an Transparenz über die wahren Zustände wohl nicht gelegen ist“.

Derweil muss sich auch das Marienkrankenhaus dem Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung stellen. Denn schon unmittelbar nach Ende der Narkose ließ es den Patienten zurück in den Knast bringen. Wegen der Schwere der Verletzung verweigerte die Knastklinik aber die Aufnahme. Wagner rügt: „Das Marienkrankenhaus ist seiner Behandlungspflicht nicht nachgekommen.“ Dessen Pressestelle wiegelt ab: „Wir haben D. absolute Fürsorge und fachliche Versorgung zukommen lassen.“

Heute ist D. auf freiem Fuß und – nach zwei Monaten in der Psychiatrie und einem Attest, das ihn als traumatisiert und suizidal diagnostiziert – von der Ausländerbehörde geduldet.