Streiten auf der Schleimspur

Kopftuchverbot: In Bremen gibt es noch keinen Präzedenzfall, dennoch ist die Debatte heftig. Kürzlich stritten vier prominente Frauen. Jede hatte gute Argumente

„Viele Schülerinnen werden zum Kopftuch gezwungen – das nimmt massiv zu“

Bremen taz ■ Die Positionen waren so gut begründet wie unvereinbar. Vier Frauen legten jetzt im Bürgerhaus Weserterrassen ihre Meinung zu einem Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen dar – 90 Frauen waren gekommen, um mitzureden. Das Frauenbildungszentrum belladonna hatte den Abend veranstaltet. Was das Thema so beladen macht, versuchte Bremens Frauenbeauftragte Ulrike Hauffe auf den Punkt zu bringen. „Es kann nicht nur die Angst vor Fremden sein“, räsonnierte Hauffe: „Ich frage mich, inwieweit unsere religiöse Verwurzelung in uns etwas ganz anderes abruft, als wir in der Sachdebatte thematisieren.“ Und: „Wir glitschen auf einer Schleimspur“ – ein mehr oder minder negierter christlicher Werthintergrund spiele in der Diskussion eine umso stärkere, weil unbewusste Rolle. Dabei wäre das Objekt des Streits zu vernachlässigen. Es geht um gerade mal 16 Muslima in der ganzen Republik. In Bremen gibt es noch gar keinen Fall. Erst im kommenden Jahr. Dann wird Ayla Karagöz ihr Referendariat beginnen – mit Kopftuch. Wenn es nach Bildungssenator Willi Lemke (SPD) und der CDU ginge, bekäme Bremen sein Kopftuchverbot. Die SPD hatte Lemke erst ausgebremst und ihre Meinungsbildung dann vertagt: Im Moment passiert gar nichts.

Ayla Karagöz saß auch auf dem Podium. Für sie ist ihr Kopftuch „Ausdruck der Religionsfreiheit“, und „Emanzipation und Kopftuch sind für viele Musliminnen kein Widerspruch“. Ein Kopftuchverbot sei ein Berufsverbot, mehr noch: „Mit einem Verbot treffen Sie das Heiligste eines Menschen: seine Würde.“ 90 Prozent aller Muslima trügen Kopftuch, so die Studentin, „wir können diesen Frauen nicht unterstellen, dass sie das aus politischen Gründen tun.“

Dafür wurde sie attackiert von der Gewerkschafterin Sanem Kleff aus Berlin, Muslima ohne Kopftuch. Sie nennt das Tuch „ein hochgradig sexualisiertes Ding, ein Ding der Männer“. Dass ihr Kopftuch und die Unterdrückung von Frauen in islamistischen Staaten zusammenhingen, das werde sie wohl nicht finden, bellte Kleff Richtung Karagöz. Die erwiderte: „Genau!“

Sanem Kleff plädiert für ein Verbot sämtlicher religiöser Symbole in der Schule und sieht in der Debatte vor allem die gescheiterte Integrationspolitik Deutschlands. Sie fordert, „den Islam anzuerkennen und den Islamismus zu bekämpfen.“

Das findet auch die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck. Aber ihre Konsequenzen sehen anders aus: Sie wünscht sich mehr Gelassenheit. Nach dem BVG-Urteil könne das Kopftuch sowohl als politisches, als auch als individuell religiöses Symbol gesehen werden, so Beck. „Wenn das richtig ist, ist es für micht nicht mehr möglich, ein generelles Verbot auszusprechen“, so die Politikerin. Sie fordert stattdessen eine Einzelfallprüfung. Und gibt zu bedenken, „dass ein Verbot die Frauen trifft, nicht die Männer. Die Unterdrückten, nicht die Unterdrücker“. Beck warnte vor Ausgrenzung – denn: „Was mach ich denn dann? Dann gehe ich in den Moscheeverein – da sitzen die Jungs doch schon und warten.“

Gegenfeuer aus dem Publikum bekamen vor allem Ayla Karagöz und Marieluise Beck. Die Kopftuch-Muslima sollten sich mehr abgrenzen von denen, für die das Tuch anderes bedeute als ein individuelles Symbol ihres Glaubens. „Viele Schülerinnen werden zum Kopftuch gezwungen“, erklärte eine Lehrerin, „das nimmt massiv zu.“ Diese Mädchen seien in einem Alter, in dem sie garantiert nicht frei darüber bestimmen könnten, ob sie ein Kopftuch tragen wollten oder nicht. sgi