Die Raver blieben aus

Funktionieren Massenevents ohne Massen? Einige Impressionen am Rande der Love Parade

von CHRISTIANE RÖSINGER

Es ist wieder vorbei. Dieses Jahr hatte man sich darauf geeinigt, die Love Parade gut zu finden. Der Zaun um den Tiergarten, was soll’s, die „Messe Berlin“ als Partner, warum nicht? Dass die Teilnehmer eher trunkenen Karnevalisten als trendy Clubleuten glichen, dass die Philosophie der Veranstalter Gewinnerzielung und Doktor Motte kein Intellektueller ist, wurde ist den letzten Jahren zur Genüge thematisiert. So sparte man sich Häme und Kritk und nahm die Love Parade 2003 als unausweichliche Naturerscheinung hin. Aber funktioniert eine Massenveranstaltung ohne echte Massen?

Schon der Freitag zeigte es: Nein. Kein vermehrtes Touristenaufkommen in den Straßen, kein lustiges Autonummernraten, keine Gelegenheit, die kulturelle Überlegenheit des Großstädters gegenüber den Dachrinnenfrisuren des Flokatimobs sinnlich zu erfahren. Am Samstagnachmittag verfolgte man aus einer lieben Gewohnheit heraus die Liveübertragung der Parade auf dem Kultsender RBB. Die Straßen schienen voll, die Moderation erbärmlicher als gewohnt. Abends dann sollte wie immer das Gegen-/Ergänzungsprogramm zur Parade in den Clubs stattfinden. Die Straßen in Mitte blieben seltsam leer, nur am Alexanderplatz belebten etwa 300 Reisebusse das Stadtbild – aber keine Spur von den jungen Menschen, die das Image unserer Stadt verbessern sollen.

Bei „Hier entsteht“ am Pavillon am Rosa-Luxemburg-Platz traf man auf eine größere Menschenansammlung, hier fand die Abschlussveranstaltung des temporären Gerüstbau-Events statt. Zur Feier des Tages hatte man „architecture and morality“ ein Stück der Gruppe OMD von 1981 als öffentliche Bauausschreibung zur Partizipation zum Download ins Netz gestellt. Nun wurden die musikalischen Umbauten, Abrisse und Neubauten des Tracks vorgestellt. So konnte man als Zuschauer ganz partizipierend teilhaben an den musikalischen Baumaßnahmen, sich an Schönheit und Stumpfheit elektronischer Musik erfreuen, während im ersten Stock des luftigen Baus Parallelgesellschaften Geburtstag feierten und Jugendliche auf der Suche nach Neagtivzuwendung die Hängematte als Trampolin zwischennutzten. Sogar zwei vesprengte Sonnenblumen-Raver gesellten sich, irritiert aber auch interessiert, dazu.

In der „Maria am Ufer“ hatte man zur „Shitparade“ gerufen. Das Motto des Abends sollte hier nicht als Love-Parade-Abgrenzung aufgefasst werden, eher als zusätzliches elektronisches Angebot, vornehmlich des Berliner Labels Shitkatapult. An der Schillingbrücke warteten mehrere hundert Menschen. Drinnen auf der Bühne war Pole am Werk, der sein bisheriges musikalisches Schaffen dem Knistern, Zischen und anderen Störgeräuschen gewidmet hatte. Auch im Maria sah man keine Raver, dafür trafen sich wichtige Persönlichkeiten aus linkem Verlagswesen, Kunsttheorie, Indietronic und Videokunst, alle waren zur Love-Parade-Beobachtung ausgeschwärmt. Allein die zu beobachtende Spezies, der verstrahlte Raver, blieb fern.

Augenzeugenberichten zufolge soll aber das echte Love-Parade-Gefühl der Neunziger im Hotel Ibis an der Schillingbrücke noch einmal aufgekommen sein. Nicht sahnend hatte sich ein Pärchen auf der Ibis-Hotelterasse vom Schlangestehen am Maria erholen wollten und dann festgestellt, dass sich hier die letzten Raver Europas einquartiert hatten. Alles war plötzlich wieder da: Plüschschlaghose, Ecstasyseligkeit, Trillerpfeife, tänzelnde Zwangseuphorie, abnehmbare Kunstponys, der Lendenschurz in Kuhfelloptik, sogar die historische orange Bauarbeiterweste wurde gesehen.