Aliens im Windschatten

Die wunderbare Langsamkeit des schnellen Rennens: Pepe Danquart erhebt mit „Höllentour“die Tour de France zum Kinoereignis und seine Protagonisten Aldag und Zabel zu tragischen Helden

VON DANIEL THEWELEIT

Für den Zuschauer am Streckenrand hat die Tour de France kaum mehr zu bieten als pure Langeweile. Eine unendlich lange Werbekarawane schiebt sich durch Frankreichs Straßen, irgendwann tauchen die Hubschrauber am Horizont auf und dann rauschen innerhalb weniger Sekunden 170 Radfahrer vorüber. Das war’s. Die sportliche Dramaturgie des Rennens lässt sich nur über ein elektronisches Medium verfolgen, und deshalb gilt das nach Olympischen Spielen und Fußball-WM drittgrößte Sportereignis des Globus längst als Fernsehevent. Nun hat sich Pepe Danquart, der 1994 für seinen Kurzfilm „Der Schwarzfahrer“ mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, der Tour angenommen und sie 2003 als Dokumentarfilmer begleitet.

Mit „Höllentour“, der ab morgen in die Kinos kommt, wird die Tour de France zum Kinoereignis. Fast scheint es, als erschließe sich die tiefe Faszination dieses Spektakels erst im Filmformat. Von der Soundkulisse des Jazzmusikers Till Brönner gestützt, erzählt der Film die alte Geschichte von Heldentum und Qual aufs Neue. Wie Außerirdische wirken die Rad fahrenden Männer auf ihren futuristischen Rädern inmitten der französischen Idylle manchmal, um einige Momente später unter den Zwängen ihrer physiologischen Grenzen zusammenzufallen und zum Spielball von Wind, Bergen oder Schwerkraft zu werden.

Danquart vermischt die Intensität des Extremsports mit dem langsamen Rhythmus des französischen Erzählkinos, und Erik Zabel sowie Rolf Aldag sind wunderbare Schauspieler für dieses Genre. Der Regisseur durfte im für die Öffentlichkeit unzugänglichen Mannschaftswagen filmen, zerschundene Knochen und schmerzende Körper aufnehmen, und in der Diskrepanz zwischen ekstatischer Anspannung des Rennens und nahezu willenloser Entspannung nach getaner Arbeit entsteht eine Melodie der Bilder, die in jenem traurig-melancholischen Grundton erklingt, der diesen Sport umgibt.

Wenn Rolf Aldag abends auf seinem Bett aufgeregt mit dem gerade gewonnen Bergtrikot herumhantiert und von der Angst heimgesucht wird, am kommenden Tag von seinem Körper für seine aggressive Tagesfahrt bestraft zu werden, schimmern tragische Abgründe hervor. Abgründe, die wiederum den Nährboden für eine intensive Freundschaft mit dem Zimmerkollegen Erik Zabel bieten. Sprinter Zabel, zerschunden von einem Sturz zu Beginn der Rundfahrt, bemüht sich immer wieder vergeblich, den überragenden Alessandro Petacchi zu besiegen, und scheitert an den eigenen Ansprüchen wie die meisten Fahrer bei diesem Radrennen. Zabel hadert schicksalsergeben: „Eigentlich sollte ich nicht nachdenken, aber es geht nicht anders, ich denke einfach zu viel.“

Klein und vom Leben bestraft wirken die Männer in diesen Szenen, wenn sie jedoch ihre funkelnden Räder besteigen, ihre verspiegelten Brillen aufsetzen und die elektronischen Beats den Kinosaal füllen, dann verwandeln sich die schmächtigen Fahrer wieder in Heroen. Die Tour de France lebt von der Macht ihrer Bilder, von der Verschmelzung von grandioser Natur, fein surrender Technik und körperlicher Grenzerfahrung – nirgends sieht das alles schöner aus als im Kino. Das Duell der großen Favoriten Lance Armstrong und Jan Ullrich spielt sich dabei nur am Rande ab. Und wenn die Kontrahenten um den Gesamtsieg sowie die entscheidenden Momente des Rennverlaufs im Mittelpunkt stehen, dann verliert der Film seltsamerweise sofort etwas von seiner wunderbaren Atmosphäre. Eventuell liegt das an der Ästhetik der Fernsehbilder, die dann das Auge der Kinokamera ersetzen, oder an der fehlenden Nähe des Zuschauer zu den beiden Stars, die in diesem Film nur Statisten sind. Vielleicht sind Ullrich und Armstrong aber auch einfach zu schnell für die wunderbare Langsamkeit von drei Wochen Tour de France im Kino.