„Wie in einer normalen Disko“

Eine halbe Million Raver tanzte bei der Love Parade hinterm Bauzaun. Am Torsteher vorbei kam nur, wer maximal drei Liter Privatgetränke dabeihatte. Im Park galt eine strenge Hausordnung, die gar den Betrieb von Tonwiedergabegeräten verbot

von JAN ROSENKRANZ

Er könnte Manni heißen. Lehnt übellaunig gegen das Geländer der Fußgängerbrücke, neben sich eine kleine Kühltruhe, darauf ein paar Bier und das Schild „1 Euro“. Ab und zu gehen Leute vorüber, die so aussehen, als wollten sie zur Love Parade oder als hätte Mutti sie auf dem Kindergeburtstag vergessen. Damals vor fünfzehn Jahren. Manni sagt, das Geschäft könnte besser laufen. Hinter der Spree, dort, wo die Bässe wummern und sich Raver durstig tanzen, darf er nichts verkaufen. Hier kann er es nicht. Gegen Mittag hat sich Manni an der Strecke aufgebaut, gleich neben dem Zaun. Er, sein Stand und vier Kisten Beck’s. Das Kontrollteam vom Ordnungsamt war auch gleich da, die Polizei im Schlepptau. Da hat er seine graue Klappkarte mit dem Aufdruck „Reisegewerbeschein“ gezückt. Hat sie nicht beeindruckt. Haben stattdessen alles aufgeschrieben und gesagt, er bekomme demnächst Post. Wie viel er jetzt Strafe zahlen soll, weiß Manni noch nicht, aber er hat wohl Recht, wenn er sagt, der Tag ist für ’n Arsch. Keine zwei Kisten hat er verkauft, und im Auto warten noch acht.

So soll es bleiben, geht es nach dem Willen der Veranstalter. Denn Schwarzhändler sorgen für Müll und sind schlecht für das eigene Geschäft. Weil die Besucherzahlen sinken, wird mit härteren Bandagen gekämpft – Zäune, zwei Meter hoch, 4.600 Meter lang, mit 50 Öffnungen, an denen 466 komplett schwarz gekleidete Ordner den Einlass zum Techno-Zoo kontrollieren.

Drei Pubertanten mit Migrationshintergrund schlendern auf den Checkpoint an der Entlastungsstraße zu, als wäre nichts. Doch da ist was: diese beladene Sackkarre und die dicke Reisetasche. Auch der Wassereimer ist dem Security-Mann nicht entgangen. „Wo wollt ihr ’n damit hin?“, fragt der schwarze Mann. „Na zur Love Parade.“ – „Könnt ihr vergessen“. Sie waren schon mal hinter dem Zaun, ganz dicht an der Strecke, dort wo sich die 50 Euro, die jeder von ihnen in Cola, Fanta und Wasser investiert hat, schneller amortisieren. „War ganz leicht, am Brandenburger Tor, da hat keiner die Übersicht“, sagt einer, während die anderen mit dem Wächter diskutieren. Sie sind wohl etwas zu offensichtlich durch das Unterholz gekrochen, jedenfalls wurden sie erwischt und neben dem Reichstag wieder auf die andere Seite des Zauns befördert.

Drei Liter wären durchgegangen. „Mehr braucht man nicht pro Tag, so heiß ist es heute nicht“, sagt der Wachmann. Und drinnen, auf dem Veranstaltungsgelände gibt es ja auch etwas zu kaufen – Bier für drei Euro, Softdrinks für zwei, an 90 Ständen, deren Betreiber für viel Geld eine Lizenz erworben haben. Ohne die darf man auf der Parade gar nichts verkaufen. T-Shirts nicht und keine Trillerpfeifen, Drinks schon gar nicht, und Drogen waren ja noch nie erlaubt. Und weil auch übermäßiger Konsum eigener Getränke den Ertrag der Budenbetreiber schmälert, darf jeder Besucher nur drei Liter mitnehmen. Auch wenn kein Ordner diese Drei-Liter-Parole bestätigen möchte –sie halten sich daran.

Manchmal geht’s noch strenger zu. Am Checkpoint neben dem S-Bahnhof Tiergarten. Ein Langer, zwei Kurze und eine Plastiktüte Bier. Neun Dosen. Der Security-Mann schüttelt den Kopf. Die drei schütteln ihren und verschwinden hinter einer Baustelle. Fünf Minuten später schlendern sie in kurzem Abstand durch die Sperre, ein Bier in der Hand und Beulen im T-Shirt.

Auf der Brücke neben dem Schloss Bellevue wäre so eine Panne nie passiert. Sieben Ordner inspizieren hier suspektes Gepäck. Einer sagt, sie hätten schon „jede Menge“ illegale Händler erwischt – mit Bier und auch mit Brötchen. Konkret heißt „jede Menge“ etwa zehn. Der Veranstalter hatte versprochen, er werde keine Taschenkontrollen machen. Die Ordner schon. „Man muss se ja nich aufmachen“, sagt ein Wächter, aber dann komme man eben nicht rein. „Wir haben hier das Hausrecht. Das ist wie in einer normalen Disko“, sagt er und zeigt auf ein Plakat mit der Hausordnung. Neben Grillen, Baden und der „sonstigen Benutzung der Gewässer“ ist auch der „Betrieb von Tonwiedergabegeräten“ nicht gestattet. Ordnung muss sein. Ruhe auch. Arme Love Parade.

Die Polizei wird am Ende sagen, dass es kaum noch Drogendelikte gab, weniger Schwarzhändler und noch weniger Müll. Dank Zaun. Schon wird überlegt, ob sich das Konzept auf ähnliche Events übertragen ließe. Ob Multikulti-Ghetto oder Schwulen-Gatter – Bauzaun rules.