US-Regierung bleibt unter Folterverdacht

Die Existenz eines Rechtsgutachtens über die Möglichkeiten, gegen mutmaßliche „Terroristen“ Folter anzuwenden, beleuchtet erneut, dass hinter den Folterungen von Abu Ghraib nicht Einzelne stecken, sondern ein System, abgesegnet von ganz oben

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Eine Serie neuer Enthüllungen über den Versuch der US-Regierung, die Anwendung von Folter im Antiterrorkampf zu legitimieren, bringt das Weiße Haus wiederholt in Erklärungsnöte. Die Zeitungen New York Times und Wall Street Journal berichten übereinstimmend über Hinweise, wie US-Gesetze und internationale Standards gegen Folter ausgehebelt werden können.

Laut einer neu aufgetauchten Studie aus dem US-Verteidigungsministerium vom März 2003 habe der US-Präsident als Oberbefehlshaber der Truppen das Recht, annähernd jedes physische und psychische Vorgehen bei Verhören zu billigen, einschließlich von Folter. Das Pentagon ist ferner der Ansicht, dass Personen, die auf der Grundlage von Anordnungen des US-Präsidenten foltern, juristisch nicht belangt werden können.

Beide Blätter berichten, das Gutachten sei von führenden Zivil- und Militärjuristen für Pentagonchef Donald Rumsfeld erstellt worden, nachdem Kommandeure auf dem US-Militärstützpunkt Guantánamo Bay auf Kuba sich beschwert hatten, dass sie mit herkömmlichen Verhörmethoden keine ausreichenden Informationen von Gefangenen erhielten. Die Juristen begründeten ihre Haltung damit, dass es nichts Wichtigeres gäbe, als „Geheimdienstinformationen zu erhalten, die für den Schutz von amerikanischen Bürgern unerlässlich sind“.

Als Grundlage für die Pentagon-Richtlinie könnte nach Informationen der Washington Post ein Memorandum des US-Justizministeriums an das Weiße Haus vom August 2002 gedient haben. Hierin heißt es, dass die Folter von Al-Qaida-Terroristen in Gefangenenlagern außerhalb der USA „gerechtfertigt sein könne“. US-Soldaten oder Geheimdienstler, die Häftlinge foltern, „würden dies nur tun, um weitere Attentate auf die USA zu verhindern“. Das Argument der Selbstverteidigung biete hinreichend Rechtfertigung, um eine spätere Strafverfolgung auszuschließen. Das Memo sei auf Anfrage der CIA erstellt worden, die einen rechtlichen Leitfaden für Verhörtechniken wünschte.

Menschenrechtsorganisationen reagierten auf die Berichte empört. „Es ist das Schlimmste was ich gesehen habe, seit der Abu-Ghraib-Skandal an die Öffentlichkeit gelangte“, sagte Tom Malinowski von „Human Rights Watch“. Selbst Militärjuristen zeigten sich über das Memo aus dem Hause John Ashcroft schockiert. „Seit 30 Jahren lehren wir die Genfer Konventionen. Fängt man einmal an, den Leuten zu erlauben das Gesetz zu brechen, weiß man nie, wie weit sie gehen“, zitierte die Washington Post einen Anwalt in Uniform.

Die Enthüllungen geben Grund zu der Annahme, dass die Folter von Gefangenen von oberster Regierungsebene wenn nicht ausdrücklich gewünscht so doch zumindest als legitimes Mittel im Kampf gegen den Terror betrachtet wurde, obwohl ein US-Gesetz aus dem Jahre 1994 allen Angehörigen der US-Streitkräfte Folter eindeutig verbietet. Auf Empfehlung seines persönlichen Rechtsberaters Alberto Gonzales soll Bush bereits im Januar 2002 entschieden haben, die Genfer Konvention auf Taliban-Kämpfer und Al-Qaida-Terroristen nicht anzuwenden.

Die Aufklärung der Folteraffäre ist in den vergangenen Tagen angesichts anderer Ereignisse aus dem öffentlichen Blickfeld geraten, sicher zur Genugtuung im Weißen Haus. Das ändert jedoch nichts an der wachsenden Erkenntnis, dass die Misshandlungen in Abu Ghraib sowie anderen irakischen und afghanischen Internierungslagern nicht allein dem Sadismus einzelner Soldaten entspringen, sondern einer systematischen Politik der Bush-Regierung.