nebensachen aus warschau
: Indianer bringen Polen auf Trab

Hilfe beim Spurenlesen

„Winnetou kommt nach Przemysl.“ Piotr kann es nicht fassen. „Er bringt noch zwei Kollegen mit. Die sollen uns das Spurensuchen beibringen.“ Am anderen Ende der Leitung ist Pawel, der 16-jährige Sohn des Grenzschützers: „Winnetou ist schon tot. Der kann gar nicht kommen. Also: Wer kommt?“

Sein Vater, der 34-jährige Piotr, bewacht die grüne Grenze zwischen Südostpolen und der Ukraine. Die Beskiden- und Bieszczady-Wälder dort sind riesig und fast undurchdringlich. Das Gebiet um Przemysl gilt als Schmugglerparadies. Piotr fasst sich langsam und erzählt dann: „Die Indianer kommen aus Arizona und sind auch Grenzer. Sie kommen extra aus Amerika, um uns hier zwei Wochen lang das Spurenlesen beizubringen. Ich bin zum Schulungskurs eingeteilt.“

Einen Monat später sind sie tatsächlich da: zwei Navajo-Indianer und einer vom Stamm der Lakota. Doch statt Lederkostüm, Silberbüchse, Tomahawk und Federschmuck tragen sie nur die üblichen grünbraunen Tarnanzüge und schwarze Kappen mit gelber Aufschrift: „US-Army“. Sie sagen auch nicht „howgh“ und „uff“ wie in den Winnetou- und Old-Surehand-Filmen, sondern „yeah“ und „let’s go“. Noch dazu sind die 50- bis 60-jährigen Grenzer höchst stattlich, um nicht zu sagen: leicht füllig. Die Spurensuchtrupps werden eingeteilt.

Ein paar polnische Grenzer gehen voran und sollen möglichst wenige Spuren hinterlassen. Eine gute Stunde später nimmt der Navajo Bryan Net die Fährte auf, dreht Steine um, beäugt geknickte Äste und zertretene Ameisen. Ein Tross von zwanzig polnischen Grenzbeamten folgt ihm schweigend.

Der Dolmetscher übersetzt, wann die „Schmuggler“ wohl vorbeigekommen sind und wie viele es waren. Piotr flüstert seinem Kollegen zu: „Ich muss unbedingt eine rauchen!“ Doch der schüttelt den Kopf: „Pfadfinder rauchen nicht.“ – „Spurenlesen zu lernen, dauert das ganze Leben“, erklärt David Scout. „Das ist ein Teil unserer Kultur, einer Kultur der Krieger und der Jäger“, setzt Brian Net hinzu. Er erzählt auch ein bisschen von Arizona, dem Wüstenstaat, wo er und seinen Kollegen an der amerikanisch-mexikanischen Grenze auf Schmugglerjagd gehen. Im Sand sei die Spurensuche viel schwieriger als im polnischen Urwald.

Die Gruppe watet durch einen Bach und sucht das Ufer nach verdächtigen Spuren ab. Piotr findet trotzdem, dass die Infrarot-Nachsichtgeräte praktischer sind als das Steine-Umdrehen und Geknickte-Gräser-Angucken. „Tagsüber sind in Polen sowie keine Schmuggler unterwegs. Und auch die Schleuser bringen die Flüchtlinge fast immer nachts über die Grenze.“

GABRIELE LESSER