Lieber frommer Dieter

Dieter Althaus hat Bernhard Vogel vor Jahresfrist als Ministerpräsident abgelöst und ist ähnlich populär

ERFURT taz ■ Älteren Damen entfährt beim Anblick der omnipräsenten Althaus-Porträts schon mal ein Seufzer. „Ein hübscher Kerl ist er ja!“ Da schwingt Stolz auf einen wohlgeratenen großen Jungen mit, der nicht nur gut in Mathe ist, prima Fußball spielt und eine nette Familie mit zwei Töchtern hat, sondern auch noch etwas von Politik versteht. Ein juveniler, drahtiger Mittvierziger, wie ihn sich jede Mama wünschen mag.

Die Figur eines Patriarchen und Landesvaters, die sein Vorgänger und Ziehvater Bernhard Vogel verkörperte, passt hingegen überhaupt nicht zu Dieter Althaus. Und sein unprätentiöses Auftreten eigentlich auch nicht zur opulenten Staatskanzlei, der ehemaligen Mainzer Statthalterei in Erfurt. Der Mathe- und Physiklehrer gilt eher als Analytiker und Macher.

Der weltanschauliche Boden, auf dem er seine Entscheidungen fällt, ist typisch für seine Herkunftsregion. Heiligenstadt, nomen est omen, liegt im erzkatholischen Eichsfeld. Sozusagen im Oberbayern des Ostens, tiefschwarz wie die T-Shirts des „Team Althaus 2004“, das als Wahlkampf-Elitetruppe das Eichsfeld für die CDU klarmacht. Die SED-Herrschaft wirkte hier so aufgesetzt wie in Polen, der Pfarrer hatte im Dorf das meiste zu sagen. Mit Renitenz hatte das weniger zu tun, eher schon mit dem „Gebt Gott, was Gottes ist, und dem Kaiser, was des Kaisers ist“. Die Konzession an die Kaiser von damals bestand für den Junglehrer Althaus in der DDR im Beitritt zur Blockpartei CDU. Als die nach der Wende die Führung übernahm, war für Althaus der Weg zum Kultusminister, Fraktionschef und zum Ministerpräsidenten seit Juni 2003 frei.

Die Leute im Eichsfeld waren und sind so, wie ihre Dörfer aussehen: sauber, ordnungsliebend, fromm, aber umgänglich. Wenn Althaus und Frau Katharina gemeinsam vom Wahlplakat rufen: „In Thüringen gern zu Hause“, meint das eigentlich „Im Eichsfeld ganz zu Hause“. Folgerichtig hat die CDU ihr Wahlkampffinale am Freitag nach Heiligenstadt verlegt.

Althaus hat gelernt, sich als Bundesratspräsident oder bei Auslandsreisen einigermaßen sicher zu bewegen. Das Bild des Strahlemanns, der vom Plakat lacht, verfliegt indes bei Live-Auftritten. Weitsichtiges, gar Visionäres hat der Spitzenkandidat ohnehin kaum im Repertoire. Mitreißend kann man seine Auftritte auf Wahlkampfbühnen kaum nennen. Seltsam müde wirkt er manchmal und beim Dreiergipfel mit seinen SPD- und PDS-Kontrahenten im MDR-Fernsehen so angestrengt und verbissen wie auf den letzten Metern eines Langstreckenlaufs. Ohne einen Schlussspurt wird die absolute CDU-Mehrheit auch nicht wiederzugewinnen sein. Althaus allein wird es nicht richten, denn seine Popularitätswerte liegen über denen der Partei.

MICHAEL BARTSCH