Die Freiheitsstatue in der Damendusche

Pressluft in Wasser, Collagen und Porträts: Eine Ausstellung im alten Stadtbad Oderberger Straße mischt Kunstwerke von behinderten und nicht behinderten Menschen. Von Grenzerlebnissen zwischen Wahn und Norm

Alles, was die Künstlerin Cornelia Koch zeigt, ist persönlich. In ihren Collagen sucht sie Antworten auf Fragen wie „Wer bin ich?“, „Wo komme ich her?“ oder „Wie wird meine Zukunft aussehen?“. Und beides, Fragen und Antworten, liegen in den bunten, detaillierten Bildern eng beeinander. Koch setzt Wachskreide flächig ein, mit Filzern schafft sie typografische Elemente – auf der Suche nach der eigenen Identität, aber auch in dem Versuch, dem Vorbild van Gogh nachzueifern.

Behinderte Menschen drücken sich ebenso wie Menschen ohne Behinderung künstlerisch aus – und den Ergebnissen sieht man oft nicht an, wer der Schöpfer ist. Das belegt die Ausstellung „Blaumeier geht baden, andere auch“ im Stadtbad an der Oderberger Straße, Prenzlauer Berg. Anlass für Ausstellung und Kulturprogramm ist das von der Europäischen Union ausgerufene Jahr der Menschen mit Behinderung (EJMB). International finden Projekte statt, bei denen es um Integrität von Menschen mit unterschiedlichen physischen Voraussetzungen geht. Gleichstellung durchsetzen, Teilhabe verwirklichen und Selbstbestimmung ermöglichen, sind die zentralen Botschaften.

In Berlin hat die Lebenshilfe gGmbH Kunst und Kultur nicht zum ersten Mal Außergewöhnliches initiiert. Magische Klänge liegen in der Luft. Leere und Menschlichkeit, kalte Kacheln und warme Farben. Besucher erleben einen faszinierenden Dialog zwischen Architektur des Schwimmbades und der dort ausgestellten Projekte. Geschichte und Gegenwart treffen aufeinander: Ein Tauchgang der Sinne beginnt – in mehreren Teilen.

Das Blaumeier-Atelier aus Bremen ist mit dreizehn Künstlern zu Gast. Das Kunst- und Psychatrieprojekt zeigt eine Auswahl eines eigenwilligen, sowohl inhaltlich als auch technisch weit gefächerten Oeuvres. Präsentiert werden Mischtechniken auf Papier und Leinwand, Acrylarbeiten, Wachskreide, Collagen, Drucke, Fotografie und Objekte. Eine Freiheitsstatue hängt in der Damendusche, Potraits in den Arkaden vom Obergeschoss, und die Nischen um das Schwimmbecken sind jeweils von einem Künstler gestaltet. Mappen laden zum Blättern ein, Besucher können sich aktiv mit den Werken auseinander setzen.

Die Ausstellung arbeitet auf verschiedenen Rezeptionsebenen: Der künstlerisch-sinnlichen, die Grenzerlebnisse zwischen Wahn und Norm ermöglicht, der philosophischen, die den vermeintlich unvollkommenen Menschen in einen kulturellen Kontext stellt, und der politischen, die Akzeptanz und Autonomie fordert.

Carl F. zum Beispiel präsentiert Fotografien. Der Künstler, der sich hinter einem Pseudonym verbirgt, fokussiert Momente seines Alltags: einen grellen Einkaufswagen oder das Muster eines Zebrastreifens.

Zweiter Teil der Ausstellung ist eine Klanginstallation des Schweizers Christoph Lahl. Seine metallenen, mit Pressluft betriebenen Objekte stellt er zu Ensembles zusammen. Ein Computer steuert verschiedene Ventile an. Diese geben den Weg für Luftstöße frei, die durch Schläuche in Wasserbehälter geführt werden. Tonhöhen und Rhythmus schaffen ein musikalisches Novum. Lahl schafft so einen Bezug zum ehemaligen Badebetrieb. „Die Hardware“ des Kunstwerkes, die gebogenen Schläuche, imitiert Wellen. Die alte Schwimmhalle wird zum riesigen Resonanzkörper und bietet der Akustik viel Raum.

Abgerundet wird die Vernissage durch eine Zusammenstellung des schizophrenen Künstlers Paul Goesch, der 1885 in Schwerin geboren wurde. Er wurde 1940 im Rahmen des Euthanasieprogramms der Nazis ermordet. Seine Familie stellte Werke seines Nachlasses zur Verfügung. Paul Goesch galt in den 20er-Jahren als Avantgardist, war in expressionistischen Architekturkreisen aktiv. Seine Visionen manifestieren sich in glasperlenfarbenen Konstrukten. Es sind surreale, hochsensible Gebilde. Zu seinen Lebzeiten wurden sie als „Irrenkunst“ diffamiert.

CHRISTIN GRÜNFELD

Die Ausstellung „Blaumeier gehtbaden, andere auch“ ist noch bis zum 19. Juli im Stadtbad OderbergerStraße 57/59 zu sehen.