Nachkriegszeit bekommt Kontur

Der vierte Entwurf für eine Irak-Resolution findet Mehrheit. Interimsregierung erhält kein Veto-, aber ein Mitspracherecht bei sensiblen Militäreinsätzen

VON ANDREAS ZUMACH

Das Kalkül der republikanischen Wahlkampfstrategen ist aufgegangen. Gerade noch rechtzeitig zum gestrigen Beginn des G-8-Gipfels im US-Bundesstaat Georgia, bei der sich Präsident George W. Bush seinem Volk gerne als Gastgeber einer wieder versöhnten Staatengemeinschaft präsentieren will, akzeptierten die vormaligen Kritiker des Irakkrieges, Frankreich, Russland und Deutschland, den inzwischen vierten Entwurf der USA und Großbritanniens für eine neue UN-Resolution. Diplomaten in der New Yorker UNO-Zentrale rechneten damit, dass bei der für gestern Nachmittag (Ortszeit New York) angesetzten Abstimmung im Sicherheitsrat alle 15 Mitglieder mit „Ja“ votieren würden. Damit erhält das Vorhaben der beiden Besatzungsmächte, die meisten ihrer bisherigen Kompetenzen zum 30. Juni an eine zumindest nominell „souveräne“ Interimsregierung in Bagdad zu übertragen, zugleich aber ihre rund 150.000 Besatzungssoldaten als „multinationale Truppe“ (MNF) unter US-Kommando im Irak zu belassen, den offiziellen Segen der Vereinten Nationen.

Nach mehrtägigen intensiven Verhandlungen hatten zunächst die Regierungen in Berlin und Moskau und gestern Morgen dann auch die französische Regierung ihre Zustimmung zu dem Montagabend vorgelegten vierten Resolutionsentwurf erklärt. Und dies, obwohl die von den drei Regierungen erhobene Forderung nach einem Vetorecht der künftigen Interimsregierung in Bagdad zumindest gegen „sensible militärische Einsätze“ der „multinationalen Truppe“ von Washington und London bis zuletzt abgelehnt wurde. Auch ihr Verlangen, alle sicherheitsrelevanten Fragen des künftigen Verhältnisses und der Kompetenzverteilung zwischen der „multinationalen Streitmacht“ und der Interimsregierung sowie der nationalen irakischen Armee und den Polizeikräfte detailliert im Text der Resolution zu regeln, konnten Paris, Moskau und Berlin nicht durchsetzen. Stattdessen sollen diese Fragen bilateral zwischen den USA und Irak geklärt werden.

Der Resolutionstext nimmt lediglich Bezug auf einen – im Annex beigefügten – Briefwechsel zwischen US-Außenminister Colin Powell und dem irakischen Ministerpräsident Ijad Allawi vom 5. Juni. Darin erkennt Powell an, „dass die irakischen Sicherheitskräfte den entsprechenden irakischen Ministerien unterstehen“ und dass die MNF „mit allen irakischen Sicherheitskräften im Geiste der Partnerschaft und auch bei sensiblen militärischen Operationen zusammenarbeiten wird, um ein gemeinsames Kommando für solche Militäroperationen zu erreichen, an welchen irakische Sicherheitskräfte beteiligt sind“.

In dem Briefwechsel wird zudem die Einrichtung „gemeinsamer Militärkommissionen“ vereinbart, die die praktische Zusammenarbeit organisieren und im Konfliktfall „Einigkeit herbeiführen sollen“. Was geschieht, wenn das nicht gelingt, bleibt offen. Spätestens in zwölf Monaten muss der Sicherheitsrat das mit seiner Resolution erteilte Mandat der MNF „überprüfen“. Sollte die ab 30. Juni fungierende Interimsregierung jedoch bereits vorher den Abzug der MNF fordern, muss dieser erfolgen.

Endgültig erlischt das Mandat der MNF spätestens im Januar 2006 – nach der Verabschiedung einer endgültigen Verfassung und der Etablierung einer endgütigen Regierung auf Basis allgemeiner, freier Wahlen, die „bis spätestens 31. Dezember 2005“ stattfinden sollen. Diese Regelungen hatten Frankreich, Russland, China, Deutschland und andere Staaten im Verlauf der zweiwöchigen Debatte seit Vorlage des ersten anglo-amerikanischen Resolutionsentwurfes durchgesetzt.

Durchgesetzt hat sich auch Iraks einflussreicher Schiitenführer, Großajatollah Ali al-Sistani mit seiner Forderung, die UNO-Resolution dürfe auf keinen Fall Bezug nehmen auf die von ihm strikt abgelehnte Übergangsverfassung, die der bisherige provisorische Regierungsrat in Bagdad im März verabschiedet hatte. Diese Übergangsverfassung ist eine der fortschrittlichsten und liberalsten in der arabischen und islamischen Welt. Sie garantiert individuelle Freiheiten, Frauenrechte, die Autonomie der irakischen Kurden sowie Religionsfreiheit. Sistani besteht hingegen auf der Festschreibung des Islams als „einziger“ Grundlage der Rechtsordnung im Irak. Nach Informationen dieser Zeitung verzichtete die Bush-Administration auf die Erwähnung der Übergangsverfassung im Resolutionstext, nachdem al-Sistani sich das für seine Unterstützung der Interimsregierung in der vorigen Woche ausbedungen hatte.