Lieber nicht Lehrer in Berlin

165 LehrerInnen sollen an Berlins Schulen zum neuen Halbjahr eingestellt werden. Doch der Bewerberandrang bleibt aus. Die Gewerkschaft GEW sieht ihre Befürchtungen bestätigt: Junge LehrerInnen wandern lieber aus

Im Vorzimmer einer Casting-Show erwartet man eigentlich Nervosität. Doch davon ist am Mittwochmorgen vor dem Louise-Schroeder-Saal im Schöneberger Rathaus nicht viel zu spüren: Locker plaudernd warten sechs junge Frauen und Männer auf ihr Bewerbungsgespräch für eine Stelle als LehrerIn an einer Berliner Schule. Die entspannte Atmosphäre verwundert Jürgen Schulte vom Berliner Gesamtpersonalrat der LehrerInnen kaum: „Die Situation hat sich verkehrt, Schulleiter werben um die wenigen Kandidaten, die sich praktisch eine Stelle aussuchen können, wenn sie wollen.“

Genau 165, die wollen, braucht die Senatsbildungsverwaltung zum kommenden Schulhalbjahr. Mit ihnen sollen Lehrkräfte ersetzt werden, die aus dem Dienst scheiden oder in Altersteilzeit gehen. Neben der Suche durch die Schulen selbst hat die Senatsverwaltung in dieser Woche Interessenten eingeladen, deren Fächerkombinationen besonders gefragt sind. Im Rathaus Schöneberg sitzen sie Rektoren gegenüber, die nach Ersatz zum 9. Februar, dem ersten Schultag nach den Winterferien, suchen.

Gerne würde er sein Fach Sport in Berlin unterrichten, sagt ein junger Pädagoge, der nach absolvierter Vorstellung nun vor dem Rathaus steht und seinen Namen lieber nicht nennen will. „An einer staatlichen Schule hat man mehr Sicherheit“, meint er. Derzeit unterrichte er an einer Privatschule in Brandenburg; wie lange eine solche Einrichtung in freier Trägerschaft bestehen bleibe, wisse man nie. Dass viele der Eingeladenen gar nicht erst zu den Castings erscheinen würden, wie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) berichtet, wundert den Lehrer nicht: „Die haben keine Lust, zu solch schlechten Bedingungen zu arbeiten.“

Damit spricht er Rose-Marie Seggelke, der Vorsitzenden des Berliner Landesverbandes der GEW, aus der Seele. „Man muss die finanzielle Situation der angestellten Lehrer verbessern“, fordert sie. Außerdem müsse man Referendaren, gerade solchen mit Mangelfächern wie Mathe oder Physik, viel früher signalisieren, dass man sie hier braucht und halten will. „Viele der jetzt Eingeladenen sind längst in anderen Bundesländern“, so Seggelke. In Berlin dagegen würden nun Stellen unbesetzt bleiben: 8 Studienräte mit der Kombination Mathe/Physik brauchten die Schulen, nur 2 Stellen hätten besetzt werden können. Von den 14 eingeladenen Anwärtern auf das Grundschullehramt Englisch seien nur 8 zum Termin gekommen, 4 der 12 offenen Posten seien unbesetzt geblieben. Dabei hatte Bildungssenator Jürgen Zöllner vor kurzem verkündet, die jetzt neu angestellte Lehrer bekämen 200 Euro netto mehr. Zu den laufenden Einstellungsverfahren wollte man sich bei der Bildungsverwaltung noch nicht äußern.

Unterdessen sucht Lothar Semmel von der Vereinigung der Berliner SchulleiterInnen in der GEW weiter nach einem Mathe- und Physiklehrer für seine Neuköllner Schule. „Wir haben unseren Bedarf nicht komplett decken können“, berichtet der GEW-Vertreter, der stellvertretender Schulleiter an einer Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe ist, von den Castings. Weil sich die Schulen um die Bewerber reißen, hätten es Einrichtungen in benachteiligten Bezirken schwerer als solche in bürgerlichen Gegenden. „Da hilft meist auch nicht, dass wir eine äußerst erfolgreiche Schule sind“, so Semmel.

Dabei gibt es durchaus angehende Lehrer, die Lust auf die Arbeit in Neukölln hätten – sogar außerhalb Berlins. Nicolas Salz steht kurz vor dem Abschluss seines Lehramtsstudiums in Gießen und hat daneben im hessischen Wetterau-Kreis einen Lehrauftrag nach Bundesangestelltentarif. „Mich würde das Unterrichten in einem sozialen Brennpunkt einer großen Stadt wie Berlin reizen“, so Salz. Weil es dort aber verhältnismäßig wenig Geld gebe und die Möglichkeit der Verbeamtung nicht bestehe, zögere er, es tatsächlich in Berlin zu versuchen.

SEBASTIAN PUSCHNER