Gefühl der Zugehörigkeit

„Breaking the what“, schreit Robert Halford, und obwohl die Arena nur halb voll ist, schallt es zurück: „Breaking the law“. Heavy Metal muss nicht überraschen. Judas Priest zeigte ein Best-of-Programm

VON HEIKO ZWIRNER

Rob Halford ist so eine Art Freddie Mercury des Heavy Metal. Seine Stimme erreicht unfassbare Tonlagen, und außerdem hat er maßgeblich zur Steigerung des Genres ins Opernhafte beigetragen. Halford machte die schwarze Bikermontur zu seiner Bühnenuniform und fuhr für Zugaben stets mit der Harley Davidson auf die Bühne. Seine Band Judas Priest war die erste, die bei ihren Shows Boxentürme aufstellen ließ, die gar nicht angeschlossen waren – nur damit es nach mehr aussieht.

Halford bewegt sich stoisch. Kahlköpfig und in einem eng mit Nieten besetzten Ledermantel schreitet er wie ein James-Bond-Bösewicht auf Ketamin über die Bühne der halb gefüllten Arena in Treptow. Eindrucksvoll kreischt er sich durch ein Best-of-Programm aus einer fast 30-jährigen Karriere. Manchmal erinnern seine betont mechanischen Gesten an eine S/M-Version von Neil Tennant. Es ist Halfords erste Tournee mit Judas Priest seit über 13 Jahren – ein Ereignis, dessen historische Dimension er durch den Ausruf „Judas Priest reunited – like Berlin!“ nicht ganz zu Unrecht mit der deutschen Wiedervereinigung vergleicht. Denn Judas Priest gehören zweifellos zu den einflussreichsten Bands überhaupt. Sie haben den Heavy Metal zwar nicht erfunden, aber sie haben ihm sein archetypisches Format gegeben.

Judas Priest hatten die schwersten Riffs von allen, die monströsesten T-Shirt-Motive und die schönsten Zacken in ihrem Schriftzug. Nach ein paar Jahren der Selbstfindung als Fantasy-Rocker setzten sie Deep Purple, Uriah Heep und anderen Metal-Bands der ersten Stunde, deren Auftritte Ende der 70er-Jahre zu endlosen Abfolgen von Gitarrensolos, Basssolos und Schlagzeugsolos verkommen waren, eine schnelle, dreckige und kompromisslose Signatur entgegen, die einerseits von Halfords unverwechselbarem Falsett und andererseits vom Zwillings-Sound der sich fortwährend duellierenden Gitarristen Glenn Tipton und K. K. Downing geprägt war.

Unzählige Bands kopierten ihren Stil. Mitte der 80er-Jahre waren Judas Priest so populär, dass man sie sogar bezichtigte, Jugendliche in den Freitod zu treiben: Vor einem Gericht in Nevada wurde die Band auf mehrere Millionen Dollar Schadenersatz verklagt. James Vance und sein Freund Raymond Belknap hatten Platten von Judas Priest gehört und sich dabei mit einer Schrottflinte die Köpfe weg geschossen. Belknap war sofort tot. Vance überlebte, doch sein Gesicht blieb fürchterlich entstellt. Seine Mutter und ihre Anwälte versuchten zu beweisen, dass sich in dem Song „Better By You, Better Than Me“ der verschlüsselte Befehl „Do It“ verberge. Doch die Richter konnten beim besten Willen keine unterschwelligen Botschaften in dem Lied erkennen. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die beiden Teenager aus familiären Gründen hatten sterben wollen, und sprachen die Band frei.

Dass die geheime Botschaft von Judas Priest eher darin bestand, harmlosen Außenseitern ein Gefühl von Zugehörigkeit und Stärke zu geben, bewiesen zwei jugendliche Guerilla-Filmemacher, als sie 1986 auf dem Parkplatz des Capital Centers in Largo, Maryland, das Video „Heavy Metal Parking Lot“ drehten. Der zwanzigminütige Clip zählt heute zu den bedeutendsten Dokumenten ritueller Praktiken in der weißen Unterschicht der Vereinigten Staaten. Er zeigt hauptsächlich junge Männer mit mittelalterlichen Frisuren und gefährlich engen Stretchhosen, die Unmengen an Dosenbier konsumieren, damit prahlen, wie viele Drogen sie schon genommen haben, und Weisheiten wie „Priest is the Best“ und „Heavy Metal Rules“ in die Kamera grölen. Die Musik von Judas Priest hat diesen armen Kreaturen Mut gemacht.

Ende der 80er-Jahre war es mit der Herrschaft des Heavy Metal jedoch vorbei. Judas Priest verloren zunächst die künstlerische Orientierung und dann den kommerziellen Anschluss. Sie wurden von Speedmetalbands wie Slayer und Metallica abgelöst, denen sie mit ihrem harten und brutalen Sound den Boden bereitet hatten. Halford verließ Judas Priest, erklärte Metal für tot und widmete sich merkwürdigen Industrial und Elektronik-Projekten. Seine Bandkollegen ersetzen ihn mit überschaubarem Erfolg durch „Ripper“ Owens, den ehemaligen Sänger einer Judas Priest-Coverband.

1998 rutschte es Halford in einem Interview mit dem Musiksender MTV dann einfach so heraus: Schon vor seinem 13. Geburtstag, habe er gewusst, dass er schwul sei. Erstaunlicherweise schien sich niemand an der Homosexualität Halfords zu stören. Die Reaktionen reichten von „Na und?“ bis zu „Haben wir’s doch gewusst“.

Wenn man ihn heute auf der Bühne stehen sieht, ahnt man, warum Halfords sexuelle Orientierung auch für ein Publikum nebensächlich ist, das einen äußerst konservativen Ruf hat. Er zelebriert seine Rolle als Frontmann mit einer enormen Ernsthaftigkeit und Präzision. Heavy-Metal-Bands bewegen sich von Natur aus nahe an der Grenze zur Selbstparodie. Haldford überschreitet diese Grenze nie.

„Breaking the what?“, schreit er in die Halle hinein, „Breaking the law“ schallt es zurück. Bevor er „Hell Bent For Leather“ anstimmt, röhrt der Motor der Harley. Das ist wenig überraschend, aber es macht nichts, dann auf Überraschungen wartet hier niemand. Die letzte Zugabe heißt erwartungsgemäß „You’ve Got Another Thing Comin“. Sie klingt wie eine äußerst lebhafte Erinnerung an eine Zeit, in der Jungs mit Milchbärten und Hühnerbrüsten sich ohne den leisesten Anflug von Ironie Nietenarmbänder und abenteuerlich bedruckte Muskelshirts anzogen – und davon träumten, frei zu sein.