Stefan Holzners lange Freude

Der 35-jährige Triathlet aus Bad Reichenhall wählt beim Ironman Germany in Frankfurt die richtige Taktik und schlägt damit ziemlich überraschend sämtliche Favoriten

FRANKFURT taz ■ Das Gefühl der Sicherheit kam erst spät am heißen Tag in Frankfurt. 3,8 km geschwommen war Stefan Holzner da bereits am frühen Morgen, 180 km auf dem Rad gefahren, schließlich unendlich lang scheinende 40 km am Mainufer entlanggerannt bei praller Hitze. Dann lagen die letzten beiden Kilometer vor ihm, und mit ihnen die Gewissheit, dass es tatsächlich was werden würde mit dem größten Triumph in seinem Sportlerleben. Kurze Zeit später sah man den Mann aus Bad Reichenhall kopfschüttelnd den Römerberg hinaufstürmen, wo er schließlich das Zielband beim Ironman Germany durchtrennte – als Sieger und nach 8 Stunden, 12 Minuten und 29 Sekunden.

Das ist Weltklasse. Mindestens ebenso aber war es auch eine ziemliche Sensation, die sich da am Sonntag in den Hochhausschluchten Mainhattans abspielte. Denn mit Stefan Holzner als Sieger hatte nun wirklich keiner gerechnet, er selbst schon gleich gar nicht. „Ich war mir sicher, dass mich der ein oder andere noch kriegen wird“, gab der 35-jährige Triathlon-Profi später zu, die Favoritenbürde jedenfalls hatten andere getragen: Peter Reid aus Kanada zum Beispiel, der zweifache Hawaii-Sieger, oder Cameron Brown, der Marathonspezialist aus Neuseeland; aber auch der deutsche Altmeister Jürgen Zäck sowie Thomas Hellriegel, erster und einziger deutscher Hawaii-Champion. Stefan Holzner, so könnte man sagen, hatte keine Chance – und er hat sie genutzt. Bis es so weit war, „habe ich mich über jeden Kilometer gefreut, den ich vorne lag“. Es ist dann eine sehr lange Freude geworden.

Den Entschluss, es prinzipiell zu versuchen mit dem Siegen, fasste der gelernte Koch freilich erst auf der Strecke, noch am Morgen beim Schwimmstart war sein primäres Ziel, einen der vier Profi-Startplätze für die Weltmeisterschaft auf Hawaii zu ergattern. „Da habe ich noch überlegt, ob ich ein Sicherheitsrennen machen oder doch besser angreifen und auf Risiko gehen sollte.“ Bei Kilometer 79 hatte er die Radspitze übernommen, das war noch nach Plan, kurz darauf folgte die Attacke. „Reid und Brown fuhren mit mir im Pack, da musste ich etwas tun“, erzählte Holzner von der rennentscheidenden Idee. Als eher mittelmäßiger Läufer würde er beim Marathon die ein oder andere Minute Vorsprung benötigen, um nach Hawaii zu kommen, das wusste er, entsprechend griff er bei Radkilometer 100 an. Als er seine Rennmaschine in der Wechselzone abstellte, hatte er den Favoriten 5 bis knapp 8 Minuten Rückstand aufgebrummt.

„Wahrscheinlich war es ein Vorteil, dass mich keiner auf der Rechnung hatte“, gibt Stefan Holzner zu. Wahrscheinlich hätte ihn vor allem Cameron Brown, der Laufspezialist, sonst kaum ziehen lassen. Der war mit 7:45 Minuten Rückstand in den Marathon gestartet, auf knapp dreieinhalb Minuten war dieser im Ziel geschrumpft. „Der hat sich da wohl verzockt“, glaubt auch Thomas Hellriegel, am Ende Fünfter. Man könnte auch sagen: Browns Taktik war nicht aufgegangen, ganz im Gegensatz zu der von Holzner.

Das macht ganz nebenbei deutlich, dass so ein Ironman längst nicht mehr nur aus Schwimmen, Radfahren und Laufen bis zum Gehtnichtmehr besteht, sondern auch aus einer ganzen Menge Rechnerei: Welcher Konkurrent kann was am besten und mir wo wie viel abnehmen? Wo muss ich dranbleiben und das Tempo mitgehen? Wo ist es sinnvoll, selbst anzugreifen? Fragen wie diese gilt es während der gut achtstündigen Quälerei ständig abzuwägen. „Die Taktik“, sagt Thomas Hellriegel, weltweit einer der stärksten Eisenmänner auf dem Rad, „bekommt eine immer größere Bedeutung.“ Die große Kunst dabei ist es, die eigenen Stärken möglichst gewinnbringend einzusetzen, ohne dabei zu überziehen und sich allzu sehr auszupowern. Dass dies nicht immer planbar ist, machte ausgerechnet Jürgen Zäck vor, der Routinier: Auf dem Rad, seiner Paradedisziplin, verlor er 14 Minuten, die dabei offensichtlich gesparten Kräfte setzte er anschließend beim Marathon ein. Mit 2:48 Std. so gut wie seit Jahren nicht mehr lief der 37-Jährige, auf Rang drei führte ihn das noch – und das ganz entgegen seinem eigentlichen Rennplan.

Stefan Holzners Plan hingegen ging auf, meisterlich geradezu. Bis Brown und Reid bemerkt hatten, dass ihnen da ein ernsthafter Konkurrent erwächst und sich zur Verfolgung aufmachen wollten, war es auch schon zu spät. Zumal keiner da war, der die Verfolgung auf dem Rad für die beiden hätte organisieren wollen. Hellriegel, der früh schon verspürte, dass er an diesem Tag nichts mit den vordersten Plätzen zu tun haben würde, weigerte sich schlichtweg, dabei mitzuhelfen. Stefan Holzner ist Hellriegels Freund, Trainingspartner und Mannschaftskollege im neu gegründeten Opel-Ironman-Team. „Da fahre ich doch die Lücke nicht zu“, sagte der Badener. „Außerdem hat es sich Stefan wirklich verdient.“ Daran gibt es nicht den Hauch eines Zweifels. FRANK KETTERER