Brüsseler Possen

„Stern“-Reporter Hans-Martin Tillack verklagt die EU-Kommission auf 250.000 Euro Schadenersatz – alles wegen eines dummen Gerüchts

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Die „Affäre Tillack“ scheint als Kollateralschaden eines Partygeplauders entstanden zu sein. Äußerungen des ehemaligen Pressesprechers von EU-Kommissarin Michaele Schreyer, Joachim Gross, sollen den Ausschlag dafür gegeben haben, dass Büro und Wohnung des Brüsseler Stern-Reporters Hans-Martin Tillack durchsucht und körbeweise Akten abtransportiert wurden. Die europäische Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF verdächtigte den Stern, Geld für die Dokumente bezahlt zu haben, mit denen Tillack Anschuldigungen gegen das europäische Statistikamt Eurostat belegt hatte.

Tillack und die Internationale Journalistenvereinigung haben deswegen jetzt beim Luxemburger EU-Gericht Klage gegen die EU-Kommission eingereicht. Sie verlangen 250.000 Euro Schadenersatz und wollen in einer einstweiligen Verfügung erreichen, dass die belgische Justiz die Unterlagen nicht an OLAF weiterleitet. Die Betrugsbekämpfungsbehörde habe gegen eigene interne Vorschriften und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen.

Besagter Joachim Gross sagte der Süddeutschen Zeitung, dass er in einem Gespräch mit dem damaligen OLAF-Pressesprecher spekuliert habe, dass der Stern für Informationen Geld bezahle. Das reichte OLAF, die belgische Justiz darauf anzusetzen. Man vermutete eine undichte Stelle im eigenen Haus und wollte den unzuverlässigen Beamten wegen Geheimnisverrats und Bestechlichkeit belangen.

Von Tillacks Arbeitsunterlagen erhoffte man sich, dass irgendwo ein Name auftauchen könnte, der diesen Verdacht erhärtet. Um noch mehr Informationen zu erhalten, bat OLAF dann die Hamburger Staatsanwaltschaft um Amtshilfe, doch der zuständige Richter lehnte es ab, einen Durchsuchungsbeschluss für die Zentrale des Sterns in Hamburg auszustellen.

Rettung naht

Die belgische Justiz dagegen leitete Ermittlungen gegen unbekannt ein. Sie führten im März dazu, dass Tillacks Unterlagen beschlagnahmt wurden. Insgesamt fünfmal musste der deutsche Journalist seither im Präsidium erscheinen, um die Unterlagen zu sichten und insgesamt 1.000 beschlagnahmte Seiten abzuzeichnen. Aidan White, Generalsekretär der Internationalen Journalistenföderation in Brüssel, begleitete ihn jeweils. Gestern sagte er bei einer Pressekonferenz: „So etwas darf nie wieder in Belgien geschehen.“

Und es dürfte in Zukunft auch unwahrscheinlicher werden. Denn in der Zwischenzeit hat das Parlament ein neues belgisches Quellenschutzgesetz verabschiedet. Es muss nun vom Senat gebilligt werden. Bislang hat Belgien eins der schwächsten Mediengesetze in der EU. Bis das neue Gesetz in Kraft tritt, könnten sich die etwa 1.000 in Brüssel arbeitenden Auslandskorrespondenten bei heiklen Recherchen jederzeit mit den gleichen Repressalien konfrontiert sehen wie ihr Kollege Tillack.

In zwei Ausnahmefällen müsste ein Journalist auch weiterhin seine Informanten preisgeben: bei Gefahr für Leib und Leben oder bei terroristischen Verwicklungen. Den zweiten Tatbestand möchte der Belgische Journalistenverband gerne aus dem Entwurf streichen. Jeder wegen Geldwäsche oder Drogenhandel ermittelnde Journalist könnte dann genötigt werden, seine Quellen preiszugeben, da terroristische Hintergründe bei grenzüberschreitender Kriminalität nie auszuschließen seien.