Schlaflose Nächte für Superreiche

Chinas Regierung nimmt bei ihrem Kampf gegen Korruption mehr und mehr die Millionäre ins Visier. Aber auch hohe Funktionäre könnten der „Sauberkeitskampagne“ zum Opfer fallen. Mit tiefen politischen Reformen hat das alles nichts zu tun

aus Peking JUTTA LIETSCH

Der ein oder andere Millionär in China dürfte derzeit schlaflose Nächte haben: Nachdem die Regierung angekündigt hat, schärfer gegen die weitverbreitete Korruption anzukämpfen, wurde gestern in Schenjang der Immobilien- und Orchideenhändler Yang Bin zu 18 Jahren Haft verurteilt. Er war beschuldigt worden, Funktionäre bestochen, Dokumente gefälscht und Steuern hinterzogen zu haben.

Yang ist nicht der einzige Wirtschaftsboss, der hinter Gittern oder in Hausarrest sitzt: Wu Zhijiang, der es 2000 als vermögendster Mann der Provinz Hunan auf die Forbes-Liste der superreichen Chinesen schaffte, verbüßt 17 Jahre Haft wegen Betrugs. Andere Geschäftsleute haben sich ins Ausland abgesetzt.

Die Sauberkeitskampagne hat in den letzten Wochen auch die Küstenmetropole Schanghai erfasst – das Modell und Aushängeschild der aufstrebenden Wirtschaft Chinas. Ein Skandal um den Immobilienkönig Zhou Zhengyi erschüttert derzeit die Geschäftswelt. Zhou, Chef mehrerer Unternehmen in Schanghai und Hongkong, wurde im Juni unter dem Verdacht krummer Kreditgeschäfte und Steuerhinterziehung festgenommen.

Die Regierung will nun den Filz zwischen Bankern, Beamten und Bauunternehmern ins Visier nehmen. So sollen in Schanghai alle städtischen Grundstücksverkäufe seit 2001 überprüft werden. Aufträge, die „nicht angemessen“ vergeben wurden, werden „zurückgenommen und durch eine öffentliche Ausschreibung erneut verkauft“, kündigten Funktionäre an.

Dass in dem boomenden Immobilienmarkt Schanghais (und auch anderswo) nicht alles nach Vorschrift läuft, pfeifen die Spatzen vom Dach. Bislang konnten die lokalen Behörden ihre Grundstücke an Interessenten verkaufen, ohne darüber Rechenschaft ablegen zu müssen. So konnten befreundete oder verwandte Geschäftsleute den Zuschlag erhalten, obwohl andere Bewerber einen höheren Preis boten. Dafür wurde zuständigen Beamten wohl nicht selten ein nettes Sümmchen zugeschoben.

Da solche Machenschaften nur möglich sind, wenn mächtige Politiker die Hand über die Beteiligten halten, fragen sich viele, wie weit die Regierung die Untersuchungen treiben wird. Dass Mitarbeiter der Partei-Disziplinkommission in Schanghai ihre Zelte aufgeschlagen haben, weist darauf hin, dass auch hohe Funktionäre betroffen sind.

Schon blühen Spekulationen, ob hinter dem Schanghai-Schlag mehr als nur eine Antikorruptionskampagne steckt. Könnte er ein Versuch von Staats- und Parteichef Hu Jintao sein, die Machtbasis seines aus Schanghai stammenden Vorgängers Jiang Zemin zu erschüttern? Dessen politische Zöglinge spielen weiter eine wichtige Rolle im höchsten Parteigremium, dem Politbüro. Ihre Position könnte durch den Vorwurf, von korrupten Machenschaften in Schanghai gewusst zu haben, diskreditiert werden. Jiang hat viele seiner Genossen verärgert, weil er sie zwang, in den Ruhestand zu gehen, selbst aber Chef der Militärkommission blieb. Womöglich wollen Hu und sein Premier Wen Jiabao aber auch nur beweisen, dass sie für einen offeneren, saubereren Regierungsstil stehen.

Um das angeschlagene Vertrauen der Bevölkerung in die Partei zu reparieren, müsste Hu mit einer Praxis brechen, die jahrelang böses Blut unter den Bürgern geschaffen hat: Korrupte Politiker an der Spitze der Partei und ihre Familien blieben unantastbar. Das KP-Organ Volkszeitung veröffentlichte jüngst einen erstaunlichen Bericht über „zehn Merkmale der chinesischen Korruption“. Eine entsprechende Studie war von der Akademie der Wissenschaften und der Pekinger Qinghua-Universität erarbeitet worden. Der Clou: Die Wissenschaftler befassten sich vor allem mit der Korruption „oberhalb der Ebene von Vizeministern in den vergangenen zwanzig Jahren“. Zahlreiche hohe Kader wurden befördert, so ein Ergebnis, obwohl bekannt war, dass sie Bestechungsgelder entgegengenommen hatten, Das Fazit: Es gäbe ein „Problem bei der Auswahl von Funktionären“.

Dass die Studie veröffentlicht werden durfte, deutet darauf hin, dass Parteichef Hu die Zügel anziehen will. Er plant eine effektivere und modernere Verwaltung, überprüfbare Regeln bei der Beförderung von Staatsbediensteten und der Vergabe öffentlicher Aufträge. Dabei wollen er und seine Parteifreunde den „Arbeitsstil“ der Regierung ändern. An tiefe politische Reformen ist nicht gedacht. Oberstes Ziel ist, das Überleben der KP-Alleinherrschaft zu sichern.

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