Zweite Runde für Öcalan in Straßburg

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt erneut über eine Klage des Kurdenführers. Die Türkei will eine Niederlage unbedingt verhindern, denn sonst muss der Prozess neu aufgerollt werden

STRASSBURG taz ■ „Viva Öcalan“, riefen 200 Kurden vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Weitere 7.000 Landsleute demonstrierten nach Polizeiangaben in der Straßburger Innenstadt. Zum zweiten Mal wurde gestern vor dem Gericht des Europarats die Frage verhandelt, ob die Türkei Menschenrechte des inhaftierten Kurdenführers Abdullah Öcalan (55) verletzt hat.

Öcalan war vor 5 Jahren unter dubiosen Umständen in Nairobi verhaftet worden. Anschließend machte die Türkei dem PKK-Chef wegen Separatismus und Terrorismus den Prozess. Ein Staatssicherheitsgericht verurteilte ihn zunächst zum Tode. 2002 wurde das Urteil in „lebenslänglich“ umgewandelt.

Eine kleine Kammer des Straßburger Gerichts hatte im März vorigen Jahres den türkischen Prozess als „unfair“ bezeichnet – unter anderem, weil Öcalan nach seiner Festnahme sieben Tage lang ohne jeden Kontakt zu seinen Anwälten festgehalten worden war. Deshalb seien wichtige Aussagen ohne juristischen Beistand erfolgt. Gegen diese Entscheidung hatten sowohl die Türkei als auch Öcalan Rechtsmittel eingelegt. Gestern verhandelte nun die mit 17 Richtern besetzte Große Kammer des Straßburger Gerichtshofs. Öcalan hatte keinen Hafturlaub erhalten.

Wenn es bei einer Verurteilung der Türkei bleibt, muss der Prozess gegen den Kurden neu aufgerollt werden. Dies will die Türkei jedoch verhindern. Ihr Rechtsvertreter, Sükrü Alpaslan, rechtfertigte gestern die Prozessbedingungen mit dem „Kampf gegen den PKK-Terrorismus“.

Dagegen will Öcalans britisches Anwaltsteam erreichen, dass das Gericht doch noch die „Entführung“ Öcalans aus Kenia untersucht. Diese sei vermutlich rechtswidrig gewesen, sagte Anwalt Mark Muller. Öcalan lebte vorher in Italien, wo er um politisches Asyl nachgesucht hatte. Die Abschiebung Öcalans nach Nairobi sei ein Plan der CIA gewesen, behauptete Muller.

Die türkische Regierung wies den Vorwurf des rechtswidrigen Vorgehens zurück. Öcalan sei in Nairobi aufgrund eines türkischen Haftbefehls festgenommen und dann an die Türkei ausgeliefert worden. Ein gesetzwidriges Vorgehen türkischer Sicherheitskräfte in Nairobi wird sich wohl kaum belegen lassen, weil sich Kenia nicht über eine Verletzung seiner Souveränität beschwert hat.

Eine Verschärfung des Urteils versuchen die Anwälte auch mit Blick auf Öcalans Haftbedingungen zu erreichen. Öcalan unterliege als einziger Gefangener der Gefängnisinsel Imrali völliger Isolationshaft und könne mit niemand sprechen außer seinen Bewachern, so Anwalt Timothy Otty. Oft bleibe er monatelang ohne Besuch, weil die Regierung mit Verweis auf defekte Boote oder schlechtes Wetter die Überfahrt verweigere. Der türkische Vertreter Alpaslan wies die Kritik an der Inselhaft zurück. Man müsse eine Flucht Öcalans verhindern. Das Urteil wird in einigen Monaten verkündet.

CHRISTIAN RATH