Der bäuerliche Ruch

Mit dem Holzschnitt Philosophie und Politik treiben: Das Kunstforum der Berliner Volksbank ehrt HAP Grieshaber, den Pan von der Achalm, zu seinem 100. Geburtstag

„Der Holzschnitt ist elitär geworden“, bekennt Grieshaber im Computerzeitalter

HAP Grieshaber war ein schwäbischer Sonderling, nicht nur als Künstler. Zuhause in der Nähe von Reutlingen lebte er mit Papageien, Graugänsen und einem vietnamesischen Hängebauchschwein zusammen. Tiere, Bauern und die ihn umgebene Natur waren Thema für den Pan von der Achalm. Vorzugsweise im Holzschnitt wurden die Motive geschnitten. Grieshaber brauchte den Widerstand des Materials, benutzte besonders harte Hölzer und brachte doch Bilder hervor, die so spontan aussehen, als wären sie mit leichter Hand gezeichnet.

Meist wirken die Bilder etwas naiv, aber sie haben auch etwas Abstrahierendes, ohne die Figur je aufzugeben. Besonders in den Fünfzigerjahren passte Grieshabers archaisierender Stil zum Zeitgeist. Aktuelles und Ewiges, Zeitgeschehen und Naturkreislauf bleiben zwar thematisch getrennt, stilistisch bringt der oft vielfarbige Holzschnitt sie auf die gleiche Ebene.

Ob Grieshaber gegen den Korea-Krieg protestiert, das „Recht auf Arbeit“ einfordert, eine blühende Wiese ins Holz schneidet oder Engel und Sphingen ins Bild setzt, es scheint alles eins zu sein. Grieshaber treibt mit dem Holzschnitt Philosophie. Es ist eine sehr geerdete, bäuerliche Weltanschauung, die sich bei ihm ins Holz gräbt. Das Leben geht seinen Gang, wie es immer gegangen ist, im Einklang mit Natur. Mensch und Tier muss man daher pfleglich behandeln. Übersetzt ins Tagesgeschehen heißt das: Umweltschutz und Engagement gegen die Missachtung der Menschenrechte. Das hat Grieshaber im Holz thematisiert.

Vielleicht ist es der bäuerliche Ruch, der dem vielgeehrten und sonst sehr populären Grieshaber in Berlin bislang nur eine spärliche Rezeptionsgeschichte bescherte. Manfred Schneckenburger, der emeritierte Kunstgeschichtsprofessor, zweimalige documenta-Kurator und – nicht zuletzt – Kenner des Künstlers hat nach drei Jahrzehnten jetzt wieder eine Grieshaber-Ausstellung in Berlin eingerichtet. Am 15. Februar würde Grieshaber 100 Jahre alt. Gestorben ist Grieshaber allerdings schon 1981 mit 72 Jahren.

Schneckenburger hat sich ganz auf Grieshabers Holzschnitte beschränkt. Mit seinen metergroßen Riesenformaten in bunten Farben beförderte ihn Grieshaber in den Rang eines autonomen Bildwerks, vergleichbar einem Gemälde. Das gilt etwa für die mondäne „Berolina“ (1952), die gerade – der Luftbrücke sei Dank – einem Flugzeug entsteigt, neben sich aber eine Art Pinguin erdulden muss. Eine gewisse Ironie für die Berliner Dame in Stöckelschuhen ist unverkennbar.

Schneckenburger hat in seine aus rund siebzig Blättern bestehende Grieshaber-Schau zwei Achsen eingezogen: die thematische und die chronologische, die mit der Nazi-Zeit einsetzt. Grieshaber schlug sich damals als Hilfsarbeiter und Zeitungsbote durch, weil er offiziell als Künstler nicht arbeiten durfte. Seine in naiver Manier verfertigten Holzschnitte entziehen Bauerntum und Heimatmotiv den gängigen Nazi-Klischees. Im Nachkriegsdeutschland schneidet er – neben Naturmotiven – immer wieder Kommentare zum politischen Zeitgeschehen ins Holz, gegen die Ermordung von Salvador Allende oder gegen die Militärjunta in Griechenland. Schneckenburgers Auswahl konzentriert sich auf diese Dualität zwischen tagespolitischem Engagement und den Naturmotiven.

Doch dies beides ist bei Grieshaber kein Gegensatz. Das den bäuerlichen Kosmos Grieshabers Sprengende kommt von anderer Seite: aus der Technik. „Der Holzschnitt ist elitär geworden“, bekennt Grieshaber im angehenden Computerzeitalter. Tummelten sich auf Grieshabers Blättern früher noch fröhliche Engel um die Druckpresse, steht sie am Ende verlassen da wie ein museales Relikt. Bilder aus Holz? Inzwischen ausgestorben.

RONALD BERG

Kunstforum Berliner Volksbank, Budapester Straße 35. Bis 19. April 2009, tägl. 10–18 Uhr